Serie 36,5 Grad: Im kleinsten Baumarkt Deutschlands



Winkel203

Von BERTHOLD BLESENKEMPER

Schrauben, Muttern, Dübel und Nägel aus Stahl, Eisen oder Kupfer. Und das in allen beliebigen Größen – notfalls auch einzeln. Das Lager des kleinsten Baumarktes Deutschlands in der Bocholter Ravardistraße  bevorratet so ziemlich alles, was der Heimwerkermarkt seit Urzeiten hergibt.  Ein kurzer, suchender Blick, ein sicherer Griff, schon haben Dieter Stivan (60) und Herbert Kupsch (57) aus einem Wust von Schachteln und Regalen das passende Teil herausgesucht. Lagerverwaltung und Warenwirtschaft findet bei den Inhabern der Winkel OHG eben im Kopf statt und ausnahmsweise nicht im PC. „Unser Kapital ist die jahrzehntelange Erfahrung“, meint Stivan.

Auf den ersten Blick scheint es, als sei die Zeit spurlos an dem ungewöhnlichen Ladengeschäft auf der Bocholter Kneipenmeile vorübergezogen. Hölzerne Tresen, darauf ein Quittungsblock mit Durschlag, nebenan ein Ständer mit alten Schlüsseln. Tante Emma lässt grüßen. Wer aber genau hinsieht, entdeckt gleich neben dem Eingang eine neue Alarmanlage und  hochmoderne Luftdruck- oder Softair-Gewehredefekte Schlösse, dazu Messer oder Pfeffersprays. „Der Markt hat sich verändert“, berichtet Dieter Stivan. Spätestens seit der Kölner Silvesternacht ist  Selbstverteidigungsware gefragt wie nie. Die Winkel OHG hat sich darauf eingestellt.

Während die großen, oft deutschlandweit agierenden Mitbewerber in die Außenbereiche der Städte ziehen und nach Fläche, Fläche, Fläche gieren, bleibt die Winkel OHG lieber klein und fein und dabei durch ihre zentrale Lage mitten in der City schnell erreichbar. „Die meisten unserer Kunden sind die Wirte und Geschäftsleute von nebenan, die schnell mal etwas brauchen und wenig Zeit haben“, so der Chef.  Statt lange in einem schier unüberschaubaren Sortiment zu suchen, schildern die Kunden lieber ihr Problem. Dann laufen die Experten los und suchen aus der Flut von Waren Klavierhaken, Luftanker, Ausreiber oder andere ungewöhnliche Dinge zielsicher heraus.

Möglich macht das ein über lange Zeit gesammeltes Wissen. Dieter Stivan begann 1971 bei Winkel, Herbert Kupsch drei Jahre später.  Als der Sohn des Firmengründers Otto Winkel, Kurt Winkel, im vergangenen Sommer starb, übernahmen die beiden den Laden mit der Zusage, ihn im Sinne der Gründer weiterzuführen. Gern erinnert sich Stivan an die Anfänge. „Zu Beginn meiner Lehre hat man mich mal losgeschickt, um ein gläsernes Augenmaß mit vernickelten Rand zu besorgen“, erzählt er schmunzelt. Der Lehrling durchschaute den Spaß. Seitdem macht ihm so schnell keiner mehr etwas vor.

Was fehlt oder nicht passt, wird passend gemacht. Schlüssel zum Beispiel. Bei Winkel steht – versteckt im hintersten Winkel – einer der wohl letzten Schlüsselfräsen Deutschlands. Mit dem Museumsstück lassen sich selbst uralte Bartschlüssel noch präzise bearbeiten. Für manche Kunden bringt das die Rettung. Andere schleppen defekte Schlösse oder Werkzeuge an. Die Winkelmänner wissen Rat. Denn eigentlich verkaufen sie Lösungen.

Das Geschäftsmodell funktioniert. Noch!  Wie lange es den Winkel noch gibt, steht in der Sternen. „Spätestens, wenn wir beide in Rente gehen, wird sich wohl keiner mehr finden, der hier weitermachen will“, erklärt Dieter Stivan. Bis dahin allerdingsgehen noch jede Menge Kitt, Konsolen, Kreisschneider und Kreidefarbe über den Tisch.

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