Stadtgeschichte Bocholt: Herbstspaziergang an der „Tropfsteinhöhle“



Bocholt (PID). Der Fotograf dieser Aufnahme hatte sich vor rund 100 Jahren an einem kühlen Herbstmorgen auf den Weg in den Bocholter Nordwesten gemacht. In Höhe der Baustraße hielt er inne und fotografierte von der Dinxperloer Straße aus die rechts und links liegenden Wohnbauten der Arbeiterkolonie. 17 einfache, aber durchaus nicht schmucklose Reihenhäuser hatte der gemeinnützige Bocholter Bauverein zu Beginn des Jahres 1900 westlich des Hüntinger Brooks fertiggestellt.
Die beiden Häuser im Vordergrund liegen indes an der Dinxperloer Chaussee, wie der Verkehrsweg seinerzeit noch hieß. Das verblasste Straßenschild an der verklinkerten Hauswand links ist kaum noch lesbar. Im Fenster weisen zwei bedruckte Hinweisschilder auf eine „Glanzbügelei und Plätterei“ hin, die vermutlich von der Hauswirtin betrieben wurde.
Gegenüber, an der rechten Straßenseite, befindet sich die Restauration von Heinrich Backmann. Der Kolonialwarenhändler hatte die Schenkwirtschaft „Zur Tropfsteinhöhle“ Mitte Juli 1907 eröffnen können, nachdem zuvor vier Anträge auf Wirtschaftskonzession gescheitert waren. Das Bedürfnis wurde schließlich anerkannt, da in der Zwischenzeit an der Bau-, Falken- und Holtwicker Straße zahlreiche Häuser entstanden waren und die Bewohner eine Gaststätte in ihrer Umgebung haben wollten.
Wirtschaftsbetrieb nur unter bestimmten Voraussetzungen
Allerdings gewährte die Stadtverwaltung den Wirtschaftsbetrieb nur unter bestimmten Voraussetzungen. So musste Backmann auf eigene Kosten Bordsteine und einen Bürgersteig anlegen sowie eine Straßenlaterne vor der abgeschrägten Hausecke aufstellen lassen. Drei Jahre später wurde das Haus zusätzlich zu einem Beherbergungsbetrieb mit vier Fremdenzimmern im oberen Geschoss ausgebaut. Nach Ende des Ersten Weltkrieges verkaufte Backmann den Besitz aus gesundheitlichen Gründen. Sein Nachfolger hatte aber kein Interesse an der Gastwirtschaft, so dass sie 1919 schließlich einging.
regelrechte Schlammstrecke
Wie man sieht, ließen die Straßenverhältnisse vor den Toren der Stadt seinerzeit vielfach zu wünschen übrig. Zum Zeitpunkt der Aufnahme ist die Dinxperloer Chaussee noch nicht ausgebaut. Im Sommer staubtrocken, verkam diese Ausfallstraße nach Holtwick in der feuchteren Jahreszeit zu einer regelrechten Schlammstrecke. Im Vordergrund sind die Schienen der 1910 eröffneten Kleinbahn Bocholt-Aalten zu sehen. Eine ihrer Haltestellen befand sich im Übrigen unmittelbar vor der „Tropfsteinhöhle“.
Foto: Stadtarchiv Bocholt, Text: Wolfgang Tembrink

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