80 Jahre Befreiung bedeutet 80 Jahre Freiheit – die Grenzregion macht es vor

Von EVELINE ZUURBIER
Das halbjährliche Treffen des „Nationalen Komitees 4 und 5 Mai“ fand erstmals nicht im Herzen der Niederlande, sondern in Lievelde statt. Diese Wahl war nicht zufällig: Die Einladung kam von einer Stiftung in Lichtenvoorde, die schon lange eng mit Partnern aus der Grenzregion zusammenarbeitet, um Feiern und Gedenkveranstaltungen zur Freiheit zu gestalten. Diese Zusammenarbeit diente während des Kongresses als Inspiration für andere Gremien.
Die Veranstaltung fiel zusammen mit der regionalen Feier zum Thema „80 Jahre Freiheit“ im Achterhoek. In Kooperation mit ihren deutschen Nachbarkommunen wird dort an die gemeinsame Geschichte erinnert, wobei der Fokus auf der geteilten Verantwortung für Freiheit und Demokratie liegt.
Der Bürgermeister von Bocholt, Thomas Kerkhoff, war zu diesem Anlass eingeladen worden. Er war nicht als Vertreter des besiegten deutschen Feindes in der Grenzregion präsent, sondern als demokratischer „Naober“. An diesem Kongresstag nahm er später als geschätzter Gast an einer Diskussionsrunde teil, die von Joost van Oostrum, Bürgermeister und Vizepräsident der Euregio, geleitet wurde. Van Oostrum betonte die Wichtigkeit einer stabilen Grundlage für eine demokratische und friedliche Gesellschaft und stellte fest, dass die Grenzregion die deutschen Nachbarn einbeziehen möchte: „Denn die Deutschen waren ebenfalls nicht frei. Wir feiern nicht 80 Jahre Befreiung, sondern dass wir seit 80 Jahren Freiheit kennen.“
Diese Idee zog sich wie ein roter Faden durch den Kongress. Die aktuelle Situation, die durch den Krieg in der Ukraine, Spannungen mit Russland und einen amerikanischen Präsidenten geprägt ist, der an der NATO-Allianz zweifelt, verdeutlicht mehr denn je, wie fragil das Gut Freiheit ist.
Wim van de Donk, Vorsitzender des Nationalen Komitees 4 und 5 Mai, erläuterte, dass das Gedenken und Feiern wichtiger denn je sei. „Gerade als wir dachten, dass wir uns darum keine Sorgen mehr machen müssten – vielleicht war das naiv? Jetzt, wo die Bedrohung gewachsen ist, müssen wir dem etwas entgegensetzen. Bringen Sie Menschen zusammen, lernen Sie sich kennen, das ist die Grundlage dessen, was wir heute tun.“
Die Entscheidung für Lievelde als Veranstaltungsort unterstrich, wie lokale Geschichte und grenzüberschreitende Zusammenarbeit zu bedeutungsvollen Gedenkfeiern führen können. Für Organisatoren aus anderen Regionen des Landes wurde das Treffen somit zu einem Beispiel, wie Erinnerungen mehr als nur jährliche Zeremonien sein können: Sie können auch Verbindungen und Verantwortungsbewusstsein fördern.
Oost Gelre demonstrierte, wie selbstverständlich die Zusammenarbeit mit deutschen Partnern in der Praxis sein kann. Bürgermeisterin Annette Bronsvoort von Oost Gelre äußerte: „Im Osten des Landes ist es ganz normal, gemeinsam mit unseren deutschen Nachbarn über die Freiheit zu reflektieren und sie zu feiern. Ein Anruf genügte, um den Bürgermeister von Bocholt für diesen Tag einzuladen. Er musste nicht lange überlegen und sagte ‚ja‘.“
Auf nationaler Ebene ist dies jedoch noch nicht die Regel. Ein Gedenken mit deutschen Vertretern am Dam in Amsterdam findet noch nicht statt, da das Kriegserbe für viele Hinterbliebene noch immer zu belastend ist. Dennoch scheint auch dies langfristig möglich.
Es ist vorstellbar, dass in ein paar Jahren Veranstaltungen wie das präsentierte Programm „80 Jahre Freiheit“ erneut zeigen, dass das Leben in Freiheit mit gutem Nachbarschaftssinn in der Grenzregion langsam zu einem erkämpften Recht geworden ist. Die Beispiele für positives Nachbarschaftsverhalten werden den Mehrwert der Veranstaltung unterstreichen, weshalb der Kongress an der Ostgrenze stattfand.
Die Kongresse bieten ebenfalls Raum für inspirierende und konkrete Initiativen. In der Grenzregion gibt es hiervon zahlreiche Beispiele. So organisieren die Gemeinden zusammen mit ihren Bürgern den „Walk of Freedom“. Darüber hinaus gibt es das Kunstprojekt „Vrijheidsstromen“, dessen Werke entlang der Bocholter Aa und der Alten IJssel in Doetinchem ausgestellt werden. Es erinnert daran, dass sowohl Doetinchem als auch Bocholt im Krieg stark bombardiert wurden und aus diesen traumatischen Erlebnissen eine enge Verbindung entstanden ist. Das organisierende Komitee 4 und 5 Mai aus Lichtenvoorde zeigte, welche internationale Schlüsselrolle die Bürger mit der Pilotenlinie gespielt haben und dabei französische Zwangsarbeiter sowie später alliierte Flieger retteten.
Zusätzlich wird ein ehemaliges Jungeninternat in Harreveld als Evakuierungskrankenhaus erwähnt, das Menschen aus Nijmegen und Arnhem während der Bestrebungen aufnahm, die Freiheit zu erlangen, und auch Zwangsarbeiter aus einem Straflager bei Rees (D) aufnahm, während dort die Operation Plunder stattfand. An die Pilotenlinie schließt sich ein „lokaler Umweg“ an, der mit der Liberation Route Europe verbunden ist. Schließlich wurde ein Lied komponiert; eine „Ode an die Freiheit“, bei dem ein deutsches und ein niederländisches Chor gemeinsam auftreten.
Bürgermeister Kerkhoff drückte seine Dankbarkeit für die Gelegenheit aus, auch die deutsche Perspektive der grenzüberschreitenden Freundschaft zu zeigen. „Wir sind zwei unterschiedliche Völker aus zwei verschiedenen Ländern. Wir leben nebeneinander und miteinander in der Grenzregion. An der Feier der Freiheit und dem Gedenken an das Kriegsende teilzunehmen, ist wichtig, um zu verstehen, wie die Niederlande 80 Jahre Freiheit erlebt. Freundschaft kann nicht gedeihen, wenn man sich seines eigenen Anteils nicht bewusst ist.“ Kerkhoff betonte, dass das Schuldgefühl in Deutschland weiterhin präsent sei und nicht verschwinden werde, wenn man nur die Freiheit in Europa wertschätzt. Für Freiheit, Demokratie und ein friedliches Miteinander müsse man jeden Tag aufs Neue kämpfen
Quelle: Regio8