Friede, Freude, Dauerfluchen – KuBAaI und kein Ende



Ein Kommentar von BERTHOLD BLESENKEMPER

Stellen Sie sich vor, sie sind mit Mitglied der Jury zur Oskarverleihung, dürfen sich aber vor der entscheidenden Sitzung des Gremiums keinen der nominierten Filme ansehen. So oder ähnlich muss sich Michael Lemke (Freie Grüne/Linke) gefühlt haben, als es um die Vergabe der Bebauung des KuBAaI-Geländes ging. Noch am Tag vor der Entscheidung im Investorenwettbewerb hatte es laut seiner Schilderung auf Anfrage geheißen, Unterlagen gebe es im Vorfeld keine und man müsse sich eigentlich auch nicht vorbereiten. Umso erstaunter war das Ratsmitglied, als plötzlich mehr als 100 Seiten Exposé mit Bewertungen und Prüfungsergebnissen auf den Tisch lagen. „Da blieb keine Zeit, die zu lesen“, berichtete Lemke heute in der Stadtverordnetenversammlung. Das Ergebnis: Die Essener Firma LIST Develop Residential bekam von der Jury unter Vorsitz des Essener Landschaftsarchitekten Friedhelm Terfrüchte – übrigens auch mit Lemkes Stimme – den Zuschlag. Und dann kamen die Zweifel.

Wie Michael Lemke heute in einem Statement bekanntgab, las er sich Tage später die Unterlagen durch und stellte fest, dass es aus seiner Sicht einige Ungereimtheiten gab. So soll sich der spätere Sieger nach Informationen von Made in Bocholt nicht an einige Vorgaben der Ausschreibung gehalten haben. Lemkes Ratskollegen Jürgen Knipping (CDU) war auch etwas aufgefallen. Die Stadtverwaltung indes sah auf Rückfrage keinen Anlass, vom Verfahren abzuweichen.

Also entschlossen sich die beiden Kritiker, einen Rechtsanwalt mit einer Prüfung zu beauftragen. Der Jurist wiederum fand weitaus mehr Fehler als erwartet. So soll das Verfahren in Bocholt unter anderem gegen das europäische Beihilferechtverstoßen haben (*Anm. der Redaktion: usprünglich hatten wir „europäische Ausschreibungsverfahren“ geschrieben). Sein Gutachten wurde öffentlich. Und fortan ergoss sich eine Unmutswelle über Knipping und Lemke.

„Die Reaktionen waren niederschmetternd und empörend“, berichtete der ehemalige Grüne. In WhatsApp-Mitteilungen sei ihm „Profilierungssucht“ vorgeworfen worden, schilderte er heute. Und dann hörte man im Rathaus etwas Seltenes. „Jeder Abgeordnete hat das Recht, seine Entscheidungen überprüfen zu lassen. Wir sind nur den Bürgern gegenüber verantwortlich und nicht Erfüllungsgehilfe der Verwaltung“, las Lemke aus seinem schriftlich verfassten Statement vor. Das brachte ihm Beifall von den Rängen ein.

Für Verwaltung und die überwiegende Ratsmehrheit sind die Einwände der beiden Querdenker derweil nach wie vor irrelevant. Sie halten an dem Verfahren fest, wohl nicht ahnend, welche verheerende Auswirkungen das auf die öffentliche Meinung haben könnte. KuBAaI war und ist – wie auch die Rathausaufstockung, die unnötige Grundsteuererhöhung und so einiges mehr – in der Bevölkerung auch so schon umstritten genug. Wenn dann auch nur der vage Verdacht von Ungereimtheiten aufkeimt und womöglich hängen bleiben sollte, kann das verheerend sein. Fazit: Vielleicht hätte Bocholt statt eines Stabsstellenleiters „Zukunfts- und Strategiebüro“ doch besser einen Deeskalations- und Kommunikationsfachmann einstellen sollen. Der zumindest scheint im Rathaus dringend notwendig zu sein.

Foto: Bei der Bekanntgabe des Gewinners des Investorenwettbewerbes war alles noch in Ordnung. Foto: Stadt Bocholt

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