ANALYSE: Warum der Immobiliendeal mit Gigaset vorerst geplatzt ist

Lesezeit ca. 4 Min.

Eine Analyse von BERTHOLD BLESENKEMPER
Die Stadt war nicht schnell genug. Hätte sie die Gigaset-Altimmobilien an der Kaiser-Wilhelm-Straße frühzeitiger gekauft, wäre der Telefonhersteller womöglich nicht in Zahlungsschwierigkeiten geraten. Das zumindest mutmaßte der Erste Bevollmächtige der IG Metall, Benjamin Pankow, gegenüber Made in Bocholt. Doch Bürgermeister Thomas Kerkhoff hat – wie berichtet – den Deal wegen der eingeleiteten Insolvenzverfahren erst einmal auf Eis gelegt. Für den gesamten Ablauf des Geschäftes gab es gestern in nicht öffentlicher Sitzung der Stadtverordnetenversammulung nach Informationen unserer Onlinezeitung denn auch durchaus Kritik.

Was war passiert?

Anfang Juni hatte ein Teil der Verwaltungsspitze verkündet, dass die Stadt den Glasbau, das Backsteingebäude und die als „Kasino“ bekannte ehemalige Werkstatt nun doch kaufen will. Selbst im Rathaus waren viele verwundert, weil genau das dort zwei Jahre zuvor noch als „unwirtschaftlich“ abgelehnt worden war. Außerdem stieß auf Kritik, dass bereits ein fixer Preis ausgehandelt worden war, obwohl bis dato weder die Ergebnisse einer Sanierungskostenanalyse und einer Altlastenuntersuchung noch ein Raum- und Gesamtkonzept vorlagen. Auch der Kaufpreis sorgte für Stirnrunzeln. Die rund acht Millionen Euro basierten nämlich einzig und allein auf einem Wertgutachten des Verkäufers Gigaset. Die Lieferung der von der Politik daraufhin geforderten zusätzlichen Fakten dauerte, weil der Bürgermeister das eigene Baudezernat und die Gebäudewirtschaft offenbar nicht ausreichend involvieren wollte und stattdessen lieber externe Gutachter einschaltete. Die Folge: In der Ratssitzung Ende August konnte zwar ein Nachtragshaushalt für den Deal verabschiedet werden, die Ausgabe selbst aber wurde mit einem Sperrvermerk versehen.

Warum sind die zum Teil abrissreifen Gebäude so teuer?

Gigaset hatte den Wert der Immobilien mit rund acht Millionen Euro beziffert. Dem stimmten der Bürgermeister und Kämmerin Schlaghecken zu. Erst danach wurde ein eigenes Gutachten in Auftrag gegeben, dass sich allerdings auf die von Gigaset gelieferten Daten stützte und augenscheinlich das gleiche Bewertungsverfahren nutzte. Der von der Stadt beauftragte Experte aus Borken kalkulierte nach dem Ertragsverfahren. Das stützt sich vornehmlich auf den zu erzielenden Mietpreis für das Gewerbeobjekt. Und genau das ist der Knackpunkt der Methode. Ein Beispiel: Das Backsteingebäude und die als „Kasino“ bekannte ehemalige Werkstatt sind zwar nur noch eingeschränkt nutzbar und für den Abbruch vorgesehen. Aber: Noch weisen sie eine theoretische Nettobürofläche von 9.736,75 Quadratmetern aus. Wenn man diese gewaltige Fläche mit einer marktüblich erzielbaren, gemittelten Gewerbemiete von 3,74 Euro multipliziert, kommt man auf eine Rohmiete von 436.985,40 Euro jährlich und somit auf einen Ertragswert von 2,98 Millionen Euro. Genau der steht auch so in dem Gutachten der Stadt und wurde von Bürgermeister und Kämmerin akzeptiert.

Hätte man den Preis auch anders berechnen können?

Möglich wäre auch eine Taxierung nach dem sogenannten Sachwertverfahren gewesen. Das bringt insbesondere bei bei einem vorgesehenen Abriss für Käufer alter Immobilien günstigere Ergebnisse, weil es den tatsächlichen Zustand und damit auch die bisher erbrachten Sanierungs- und Renovierungsaufwände stärker berücksichtigt. Genau dieses Sachwertverfahren aber wurde für die von der Stadt beauftragte Verkehrswertberechnung nicht herangezogen, da es laut Gutachter in diesem Fall „nicht das zielführende Bewertungsverfahren“ war. Die Folge: Für das eigentlich zum Abriss stehende Backsteingebäude und das ehemalige „Kasino“ wurde im Gutachten eine theoretische Rohmiete von 436.985,40 Euro jährlich angesetzt (siehe oben). Tatsächlich aber würde die Stadt per anno dort nur 230.917,12 Euro erwirtschaften, weil  sie – wie im Kaufvertrag vorgesehen – die Flächen dort zunächst für Büros, Lager, Produktion und Kantine an den Verkäufer Gigaset zurückvermieten wollte.

Sollte mit dem Immobilienkauf womöglich Gigaset indirekt subventioniert werden?

Das ist durchaus denkbar und würde erklären, warum selbst im Rathaus immer nur ein kleiner Kreis in den Deal eingeweiht war. Auch der zeitliche Ablauf, sprich die Eile in der ganzen Sache spräche dafür. Doch in der Politik ist für solche Tricks selten eine Mehrheit zu finden. So hat der Rat in einer anderen Krise von Gigaset schon einmal die Übernahme einer Bürgschaft für das Unternehmen abgelehnt. 

Gibt es noch eine Chance auf den Deal?

Schwer zu sagen. Zum einen muss abgewartet werden, wie der Insolvenz- und der Sachverwalter der Gigaset AG beziehungsweise der Gigaset Communication GmbH darüber denken. Auf der anderen Seite rechnen auch im Rat einige inzwischen genauer nach. Viel wird davon abhängen, welche Folgekosten an der Kaiser-Wilhelm-Straße noch zu erwarten sind, wann das  Rathaus am Berliner Platz fertig wird und vor allem wie teuer die Sanierung dort noch wird.

Foto: Archiv

Related Posts

  1. blank

    Wo ist das Vergleichswertverfahren, das auch zur Ermittlung des Verkehrswertes herangezogen werden kann? Das ist bei Schrott-Immobilien üblich und gibt einen wahren geringen Wert wieder.

    • blank
      Made in Bocholt says:

      Ja, das Vergleichswertverfahren gibt es auch noch. Dafür liegen aber meiner Meinung nach zu wenig Daten vor. Für dieses Verfahren sollten möglichst 30 bis 50 vergleichbare Objekte vorliegen, die innerhalb von zwei Jahren verkauft wurden.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert