Stadtgeschichte: „Die Männer wollten unser Haus anstecken …“



Sue Speier schilderte dem unlängst verstorbenen Ehrenbürgermeister Bernhard Demming während ihres Bocholt-Besuches 1986, wie in der Pogromnacht vom 9./10. November 1938 Nazis gewaltsam in ihr Elternhaus auf der Bahnhofstraße 17 eindrangen: „Sie vernichteten alle Möbel, der ganze Fußboden war voll Glas- und Porzellan-Scherben. Die Männer wollten an sich unser Haus anstecken, damit wir mit verbrennen sollten. Dies gelang ihnen nicht.“
Die Nazis hatten den Gastank beschädigt. Es war nur den eingeschlagenen Fensterscheiben zu danken, dass Friedes nicht erstickten.
Wie war es zu diesem Überfall gekommen? Die Nazi-Partei hatte am 9. November 1938 mehrere hundert Bocholter zu einer Gedenkfeier für die „Opfer der Bewegung“ in das Schützenhaus an der Kaiser-Wilhelm-Straße befohlen. Dort forderte man sie zu einer „Demonstration“ gegen die Juden auf. In deren Wohnungen seien die Fensterscheiben einzuschlagen und das Mobiliar zu zerstören. Die Synagoge sei niederzubrennen. Gegen 22.30 Uhr wurden sie zu ihrem Zerstörungswerk in die Stadt geschickt. Kurze Zeit später hatte ein Trupp die Bahnhofstraße erreicht. Hier machten die Nazis sich auch über das Elternhaus von Sue Speier-Friede her.
Die damals Vierzehnjährige erinnerte sich weiter: „Nicht lange danach wurde Vater inhaftiert und sollte zwei Tage später ins KZ kommen. Nur dem Einschreiten eines Bocholter Bürgers ist es zu verdanken, daß Vater vorher entlassen wurde“.
Während aus fast allen deutschen Städten die verhafteten jüdischen Männer in Konzentrationslager deportiert wurden, geschah das in Bocholt nicht. Ein Bocholter Bürger wagte es in einer antijüdischen Gesellschaft sich für die Haftentlassung von Juden einzusetzen. Dies widerlegt die oft gebrauchte These, im „Dritten Reich“ sei Widerstand nicht möglich gewesen.
Das Schicksal der Familie Friede ist schnell erzählt: Am 23. Dezember 1938 flieht sie in die Niederlande. Wenig später gelangt sie über England nach Südafrika und lässt sich in Johannesburg nieder.
Stilles Gedenken in kleinem Kreis

Aufgrund der aktuellen Coronaschutzverordnung NRW zur Eindämmung der Pandemie und damit verbundenen Versammlungsverboten fällt die öffentliche Gedenkveranstaltung in diesem Jahr aus. Das Gedenken an die Opfer und die Kranzniederlegung wird unter Beteiligung von Bürgermeister Thomas Kerkhoff unter Beachtung der Corona-Schutzregeln stattdessen in kleinem Kreis durchgeführt.

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