Buen Camino (Teil 5) – von einem ganz besonderen Muttertag, dem wunderschönen Leon und schneller Hilfe in der Not



Jacqueline Reuvers pilgert seit Ostern den mehr als 800 Kilometer langen, auch Camino genannten Jakobsweg von Frankreich bis ins nordspanische Santiago de Compostella. Exklusiv für Made in Bocholt schreibt sie einen wöchentlichen Blog. Lesen Sie heute Teil 5 über einen ganz besonderen Muttertag, das wunderschöne Leon und schnelle Hilfe in der Not

Etappe 18 – Von Boadilla nach Carrion de los Condes

Als ich nach dem gestrigen Mega-Klettertag endlich oben am Gipfel ankam, offenbart sich eine wunderschöne Landschaft. Ich fühlte mich ganz winzig. Nach etwa 14 Kilometern Fußmarsch taucht in der Ferne eine kleine Terrasse unter Bäumen auf. Bänke und Tische aus Stein, und auf einem der Tische steht ein Korb mit Obst, Kuchen, Müsli, Milch, Kaffee und Wasser. Ein Stückchen weiter am Hang steht ein Bulli. Dann kommt ein junger Mann auf uns zu und fragt, ob wir etwas trinken möchten, „Ja, ich hätte gerne einen Kaffee“, sage ich. Beatriz fügt sofort hinzu, dass ich mehr heiße Milch in meinen Kaffee nehme. Ich dachte mir, hier draußen mitten in der Meseta muss er die Milch nicht aufwärmen, aber er tut es. Was für eine liebe Geste.

Sein Name ist David und er ist auch Teil meines Caminos seit gestern. Wir kommen ins Gespräch und die Einfachheit dieses jungen Mannes, seine Einstellung und sein Lebensstil berühren mich. Er sagt, dass er was zurückgeben möchte, was er auf dem Camino selber bekommen hat. Er will die Menschen mit dem versorgen, was sie auf ihrem Weg brauchen. Dafür gibt jeder das, was er in diesem Moment bereit ist zu zahlen. Er erzählt mir, dass er in seinem Bulli schläft und einen kleinen Gasofen in der Ecke der Terrasse stehen hat, auf dem er kocht und meine Milch aufgewärmt hat.

Ich wünsche ihm ein glückliches gesundes Leben. Ich danke diesem besonderen jungen Mann für diesen schönen Moment und auch er bedankt sich bei uns, dass wir Zeit genommen haben ihm zuzuhören. ´Beautiful Soul David♥️ Es sollte viel mehr Davids auf dieser Welt geben.

Ruhetag in Ledigos

Santa Clara Kloster in Carrion de Los Condes. Hier haben wir geschlafen und haben so gefroren. Wir haben alles angezogen, was wir dabei hatten. Beatriz lag sogar mit der Daunenjacke im Bett. Ach was soll es?, leichte Erkältung und weiter geht es. Die Sonne lacht uns an und wir packen unsere Klamotten zusammen. Da erscheinen drei Damen, eine ist eine Nonne. Die drei müssen dringendst für kleine Mädchen… und sind uns so dankbar, dass wir unsere Toilette anbieten.
Ich muss planen,. Es ist viel „Volk“ unterwegs, und mit den Schlafplätzen wird es eng. Ich versuche in den kleineren Örtchen zu bleiben, dann habe ich viel mehr Glück ein Bettchen zu bekommen.

Etappe 19 – Von Ledigos nach Sahagun

Muttertag ?Um 8 Uhr laufe ich los, Albergue la Morena in Ledigos ist eine Perle, so schön. Den Aufenthalt hier habe ich sehr genossen und mich so gut erholt! Unser Weg führt uns an endlosen Getreidefeldern vorbei. Ein Orchester aus Vogelgesang begleitet uns von Tempranillos bis fast nach Sahagun. Ich habe noch nie so viele verschiedene Vogelstimmen gehört. Unterwegs ist ein Halt im nächsten Café ein Muss, Café con Leche und ein Plausch mit den dort bereits gestrandeten Pilgern. Miriam mit den schwer angeschlagenen Füßen, Michael, von dem ich gedacht habe, er wäre einer von den sieben Zwerge aus Schneewittchen. Sein Bart ist etwas ganz Besonderes. Pat aus Texas läuft zum neunten Mal den Camino und Mathew aus Chicago ist nach eine Magen-Darmverstimmung wieder auf den Beinen. Alle haben was zu erzählen, und nach einer kurzen Pause läuft jeder von uns seinen Weg weiter.
Das Wetter ist wunderschön, keine einzige Wolke in Sicht, was für ein Genuss! Kurz vor Sahagun gibt es einen Rastplatz, da lege ich mich hin, neben mir sitzt ein bekanntes Gesicht. Es ist Amir aus Israel. Ihn habe ich am zweiten Tag beim Frühstück kennengelernt, zwischendurch immer mal gesehen und jetzt fast 400 Kilometer weiter teilen wir Datteln und Nüsse.

Ich schlafe eine gute halbe Stunde. Noch drei Kilometer nach Sahagun. Als wir im Ort ankommen scheint auch hier die Welt stillzustehen. Und dann passiert es. Ich biege nach links ab und dann steht er da, mein Berthold mit der Wanderwolle in seiner Hand! Wir fallen uns gegenseitig in die Arme und es fließen Tränchen vor Freude und Glück!
Das schönste Muttertagsgeschenk ?und das auf meinem Camino. Was für eine Überraschung.

Etappe 20 – Von Sahagun über Mansila de los Manos nach Leon

Noch schöner als Burgos ist Leon. Was für eine tolle Stadt, schöne Ecken mit alten Kirchen, Plätzen, unzähligen Restaurants, Cafés und Bars. Was für ein Leben in dieser Stadt. Überall kann ich alleine rumlaufen, ohne Angst zu haben abends im Dunkeln.

Auffallend ist der große Respekt den älteren Menschen gegenüber. Das merke ich, wenn Beatriz etwas fragt oder mit Locals ins Gespräch kommt. Die Spanier sind unglaublich freundlich und hilfsbereit. Was am meisten auffällt, sie genießen ihre Kultur, ihr Gastronomie und ihre Familien.
Danke Leon, Danke liebe Menschen hier hasta la vista!

Etappe 21 – Von Leon nach Villar de Mazarife

Die Albergue in Villar de Mazarife ist heute mein Ziel. Ich habe mich für eine alternative Route entschieden. Ich werde nicht an Autobahnen entlang und durch Industriegebiete laufen, sondern von Dorf zu Dorf. Das bedeutet, dass ich heute einen Umweg habe und mogeln muss ☺️. Taxifahrt bis Virgen del Camino, weg von Industrie und Verkehr. Als das Taxi vorfährt, erscheinen zwei amerikanische Ladies. Sie sind hoffnungslos überfordert und fragen, ob sie mit uns mitfahren dürfen. Wir quatschen im Taxi und sie fragen, wie weit wir schon gelaufen sind, 400 Kilometer erzählen wir stolz. Und ihr? Terry meint, ab Burgos in drei Tagen. Der Taxifahrer meint, unmöglich, das sind 200 Kilometer zu laufen? Antwort der Amerikanerinnen: „No, no, we took a taxi ?.

Etappe 22 – Von Villar de Mazarife nach Hospital Santibañez

Nein kein Krankenhaus, Hospital de Orbigo ist ein kleines Örtchen, da musste ich heute erstmal die Farmacia aufsuchen. Leider habe ich eine Schienbeinentzündung, die nach großer Anstrengung beim Gehen auftritt. Aber das scheint hier ein Camino-Phänomen zu sein. Um 10 Uhr öffnet also die Apotheke und ich stehe vor der Tür mit dem Gedanken an den Arztbesuch im Hinterkopf.

Ich bin sehr beeindruckt von der klugen und sehr hilfsbereiten Apothekerin. Sie holt mir einen Stuhl und bittet mich, meine Socke auszuziehen. Mit den Cremes in der Hand geht sie auf die Knie und trägt sie auf meine wunden Stellen auf. Sie holt auch einen Knöchelstrumpf, Kompressionsstrümpfe und entzündungshemmende Tabletten. So, das wird wohl helfen. Ich beschließe dann weiter zu laufen und danke diese Apothekerin für ihre Zeit und großartige Hilfe.

Etappe 23 – Von Santibañez nach Astorga

Bevor wir auf unsere Herbergsunterkunft in Santibañez zulaufen, kommen wir zu einem kleinen gelben Haus mit einer Veranda. Zwei Männer stehen draußen, beide mit einem Glas Wein in der Hand. Ich weiß nicht, ob sie vielleicht als Statisten in Herr der Ringe oder Harry Potter gearbeitet haben. Sie sehen beide bemerkenswert aus. Der eine mediterran, der andere eher nördlich, und so ist es auch. Josss ist Portugiese und Marco kommt aus Hamburg, er hat Hamburg im Juli 2021 zu Fuß verlassen. Sie begrüßen uns herzlich.

“Wir sind kein Paar“, zwinkert Josss mir zu. Marco kam vor acht Wochen vorbei, er ist Schreiner und hat in den letzten Wochen zusammen mit Josss an der Inneneinrichtung des Hauses gearbeitet, altes Holz gesammelt was sie verarbeitet haben, unglaublich schön. Dafür bekommt Marco Unterschlupf, oder besser gesagt, er schläft hinter der Hütte auf dem Feld. Beide sind sehr kreativ und schreiben Gedichte, Marco rezitiert etwas sehr Schönes für mich. Wie besonders das wieder ist und wie viel Wärme und Liebe sie ausstrahlen, wunderbar. Natürlich trinke ich ein Glas Wein mit ihnen. Wir reden über das Leben und ich interessiere mich für alles was sie zu erzählen haben. Ich will gar nicht weg.

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