Der Fall Theo W.: Wie eine Kirchengemeinde das Thema „Missbrauch“ aufarbeitet



Von BERTHOLD BLESENKEMPER
Das Entsetzen hat sich tief in die Barloer Seele gegraben. Bei manchem ist es in Wut umgeschlagen. Bei anderen in lähmende Frustration. Zwei Jahre nach Bekanntwerden der Missbrauchsvorwürfe gegen den im Dorf so verehrten Pfarrer Theo W. ist die Gemeinde Liebfrauen noch immer nicht zur Ruhe gekommen. Wie konnte das geschehen? Wer hat davon vorher schon gewusst? Und vor allem: Wie viele Kinder sind betroffen? Fragen, auf die man sich nicht nur in dem kleinen Ort an der Grenze in rund einem Jahr Antworten erhofft. Dann will die Untersuchungskommission unter Leitung des Münsteraner Historikers Thomas Großbölting Ergebnisse vorlegen. „Je mehr Klarheit wir bekommen, desto befreiender wird das sein“, plädiert Pfarrer Rafael van Straelen für schonungslose Offenheit. „Manche sagen, man sollte endlich Gras drüber wachsen lassen, weil der Beschuldigte ja schon verstorben ist. Aber es geht hier schon lange nicht mehr um den Täter. Wir müssen den Blick auf die Opfer richten“, ergänzt der Seelsorger.

Grund genug für einige im Arbeitskreis „Aufarbeitung“ zusammengeschlossene Verantwortlichen, über Monate präventiv zu arbeiten und das nach wie vor mit vielen Tabus behaftete Thema sexualisierte Gewalt immer wieder „besprechbar“ zu machen. Das geschieht mit Vorträgen, Buchvorstellungen, Filmvorführungen, mit Aufklärungsaktionen in den Kindergärten, Schulungen der Ehrenamtlichen und mit einem Audio-Podcast im Internet. Ziel ist es, die Menschen für das Thema zu sensibilisieren, so weitere Taten zu verhindern und den Opfern Mut zu machen. „Denn man kann nicht erwarten, dass die einfach mal so zu einen kommen. Dazu ist sexualisierte Gewalt einfach zu sehr mit Scham und auch Angst behaftet“, erklärt Rafael van Straelen.

Der Pfarrer gesteht ein, genauso entsetzt gewesen zu sein wie die anderen Gemeindemitglieder, als er von den Straftaten des Theo. W erfuhr. „Es entsteht ein tiefer Riss, wenn Menschen mit einem solch hohen moralischen und ethischen Anspruch etwas tuen, was genau diesem Anspruch zutiefst widerspricht“, beschreibt er den Bruch des Urvertrauens bei vielen Gläubigen. Davon nimmt sich der Pastor selbst nicht aus. „So etwas geht unter die Haut. Das belastet einen sehr“, erklärt er. Das gilt nicht zuletzt auch deshalb, weil Priester nach Vorfällen wie in Barlo und anderen Orten in der öffentlichen Meinung schnell schon mal unter Generalverdacht gestellt werden. Rafael van Straelen will dem offensiv entgegengetreten. Man könne nichts wiedergutmachen, aber man könne zumindest zeigen, dass Kirche anders sein könne und wolle, meint er.

Eine Mistreiterin hat der Bocholter Priester in der Gemeinderatsvorsitzenden Jutta Rademacher gefunden. „Wir müssen das Thema einfach immer wieder wachhalten“, meint auch sie. Gemeinsam mit Birgit Kumpmann und Pastoralreferentin Ute Gertz macht Rademacher in einer Gruppe mit, die das Medienformat „Hörmal – der Podcast von Liebfrauen Bocholt“ ins Leben gerufen hat. Regelmäßig werden Bücher vorgestellt, die sich mit dem Thema sexualisierte Gewalt beschäftigen. Am 15. September zeigt die Gruppe im Kinodrom zudem den französischen Film „Gelobt sei Gott“, in dem ein ähnlicher Fall wie der in Barlo behandelt wird. (https://www.youtube.com/watch?v=G_7C0Q-EPfk ). „Wichtig ist, dass nicht der Eindruck entsteht, dass wir in der Kirche Gras über die Sache wachsen lassen wollen. Deshalb engagiere ich mich“, erklärt Birgit Kumpmann.

Und wie geht es weiter? „Wir müssen das Ergebnis der Untersuchungskommission abwarten. Danach muss man die Konsequenzen ziehen“, meint Rafael van Straelen und spricht damit auch mögliche Auswirkungen auf die Kirche an. Angst hat er davor nicht, auch nicht persönlich. Der Bocholter Pfarrer hat dazu seine ganz eigene Haltung: „Ich fühle mich nur dem Christsein und meinen Gemeindemitgliedern gegenüber verpflichtet – nicht mehr, aber auch nicht nicht weniger!“

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