Die 6 gravierendsten Rathaus-Täuschungen



Von BERTHOLD BLESENKEMPER

1. Die Denkmaltäuschung

November 2016: Das Rathaus wird unter Denkmalschutz gestellt. Die Verwaltung schweigt, Rat und Bürger erfahren nichts davon.

Juli 2020: Die meisten Bürgermeisterkandidaten sprechen sich in einer Befragung des BBV für eine Aufhebung des Denkmalschutzes aus. Dazu zählen Thomas Kerkhoff (CDU), Stefan Schmeink (SPD) und Monika Ludwig (Die Grünen). Nach der Wahl unternimmt allerdings keiner der drei einen Versuch zur Aufhebung des Denkmalschutzes oder stellt einen entsprechenden Antrag.

August 2021: Auf Nachfrage erklärt Thomas Kerkhoff, dass die geplante Tieferlegung des Foyers vom Denkmalschutz noch nicht genehmigt ist. Gleichzeitig erklärt der Bürgermeister, dass diese Tieferlegung für ihn unverhandelbar sei und er notfalls einen Ministerbeschluss herbeiführen werde. Damit gesteht er indirekt ein, dass eine Aufhebung des Denkmalschutzes nach wie vor möglich ist.

2. Die Kalkulationstäuschung

Mai 2016: In einer Machbarkeitsstudie zur Rathaussanierung gehen die Architekten von Kosten in Höhe von 37,6 Millionen Euro für die Rathaussanierung aus. Später stellt sich heraus, dass ein paar Dinge wie eine Küche für die Mensa, ein Großteil der Sanitäranlagen, die Außenanlagen und die komplette Theatersanierung „vergessen“ beziehungsweise nicht berücksichtigt wurden.

Juli 2020: Thomas Kerkhoff stellt im BBV klar: „Für Kosten über 50 Millionen Euro darf keine Sanierung erfolgen“. Zuvor hatte die SPD-Fraktion  ihre „Reißleine“ verbindlich bei 45 Millionen Euro festgelegt. 

August 2021: Die endgültigen Kostenschätzungen liegen jetzt bei angeblich 64,73 Millionen Euro. Zusätzlich muss mit einem 20-prozentigen Risikoaufschlag gerechnet werden. Thomas Kerkhoff hat es sich anders überlegt. Gleiches gilt für die SPD-Fraktion.

3. Die Aufstockungstäuschung

September 2018: Bei Unterzeichnung des Vertrages mit dem Architekten erklärt die Verwaltung, dass durch die Aufstockung um ein viertes Geschoss 50 neue Arbeitsplätze geschaffen würden. Statt 270 könnten künftig 320 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Rathaus untergebracht werden. Das erlaube es, kleinere Einheiten zurückzuholen und so Synergieeffekte zu nutzen, heißt es.

August 2021: Stadtbaurat Daniel Zöhler erklärt auf Nachfrage, dass die Aufstockung keinen einzigen Arbeitsplatz zusätzlich schafft. Die vorhandenen 280 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter werden künftig lediglich statt über drei über vier Geschosse verteilt.

4. Die Neubautäuschung

November 2014: Die Verwaltung hat die Kosten für einen Rathausneubau geschätzt und beziffert sie mit 30 Millionen Euro.

Juni 2017: Das Architekturbüro Böhm beziffert die Neubaukosten in seiner Machbarkeitsstudie inzwischen auf 45 Millionen Euro.

Januar 2021: Thomas Kerkhoff schätzt die Kosten für einen Neubau inklusive der Sanierung des angeblich unverrückbar denkmalgeschützten bestehenden Rathauses (siehe Denkmaltäuschung) und des Theaters auf 100 Millionen. Im Falle einen Denkmalabrisses und eines kompletten Neubaus geht er sogar von mehr als 120 Millionen Euro aus. Die Aussagen basieren in allen drei Fällen auf groben Berechnungen.

5. Die Bürgerbeteiligungstäuschung

Juli 2020: Die Bürgermeisterkandidaten werden vom BBV zur Rathaussanierung befragt. Fast alle sprechen sich für einen Bürgerentscheid aus. Thomas Kerkhoff (CDU) erklärt: „Ich stehe einem Bürgerentscheid positiv gegenüber“. Stefan Schmeink (SPD): „Ob Sanierung, Abriss, Neubau, Nutzung geeigneter bestehender Gebäude – ich setze auf Beteiligung der Bürger“.

August 2021: Die Parteien haben es seit der Wahl verpasst, vorsorglich den versprochenen Bürgerentscheid zu beschließen. In dem Fall wäre es möglich gewesen, den Bürgerentscheid sehr zeitnah zur endgültigen Kostenschätzung mit der Bundestagswahl am 26. September 2021 durchzuführen. Inzwischen wird argumentiert, das Thema sei für die Bürger „zu kompliziert“ und ein Bürgerentscheid sorge nur unnötig für weitere, teure Verzögerungen.

6. Die Verzögerungstäuschung

Dezember 2020: Die Fertigstellung der Kostenkalkulation verzögert sich wegen einiger Probleme mit dem Planer für technische Gebäudeausstattung um ein halbes Jahr. Stadtbaurat Danilel Zöhler beziffert die Mehrkosten auf rund 400.000 Euro (umgerechnet 800.000 Euro jährlich).

August 2021: Die Soziale Liste beantragt die Verschiebung der Sanierungsabstimmung um eine halbes Jahr, um noch mal alles genau nachrechnen zu können. Kämmerin Jennifer Schlaghecken schätzt die Verzögerungskosten jetzt plötzlich auf zwei Millionen Euro jährlich.

  1. Ruth Rümping says:

    Täuschungen, Schätzungen, Aktualisierungen – die Spirale wird sich weiter nach oben drehen und Bürger*innen durch weitere Verschleierungen im Unklaren gelassen.

  2. Rainer Hummert says:

    Welche Möglichkeiten haben die Finanziers, die Steuerzahler jetzt noch, diesem öffentlichen Treiben wirksam entgegenzutreten? Wie bzw. womit kann man diese Ver(sch)wender fremden Geldes noch einfangen? Oder haben sie, einmal gewählt, damit den Freibrief für unbegrenzte Tollheiten erhalten? Auch gegen den Willen der Geldgeber, der Bürger? Von dubiosen Finanzinstituten, kriminellen Politikern, dem organisierten Verbrechen kennt man das, da ist es erwartbar.
    Was also tun?

    • Made in Bocholt says:

      Wenn der Rat nicht von sich aus einen Ratsbürgerentscheid initiiert, bleibt als letztes Mittel nur noch ein Bürgerbegehren. Wenn dem rund 3000 Menschen zustimmen, folgt ein kassierender Bürgerentscheid. Wenn dabei 12.000 Wählerinnen und Wähler gegen den Ratsentscheid stimmen, ist dieser gekippt.

  3. Jörg Demming says:

    Na, es stimmt schon dass in Bocholt mehr Sterne zu sehen sind, als in meiner neuen Heimat Recklinghausen, aber das liegt am Lichtsmog und und nicht an den Machthabenden in Bocholt!
    Wieso, mussten die Mitarbeiter der Bocholter Feuerwehr, mit selbst handanlegen bei dem Neubau der Bocholter Wache, während es die Verantwortlichen im Rathaus, offensichtlich nicht nötig haben?!
    Wenn diese Entscheindugsträger selbst hätten sich engagieren müssen, hätte die Rathaussanierug so stattgefunden, wie vor der Wahl versprochen!

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