Drei Jahre Hassmails zeugen vom Totalversagen des Staatsschutzes



Von BERTHOLD BLESENKEMPER

Jahrestag im Rathaus. Seit exakt drei Jahren werden in Bocholt Politiker, Verwaltungsbeamte und Medienvertreter von Hassmails von Morddrohungen überflutet. „Judensau verrecke“ oder „rote Drecksau“ sind dabei noch die harmlosesten Begriffe, die der Absender verwendet. Manchmal wird offen der Einsatz von Molotowcocktails oder anderem angedroht. Die Ermittlungsbehörden zucken nur mit den Schultern. Insbesondere der Staatsschutz versagt auf allen Ebenen. Er ermittelt erst gar nicht. Anzeigen von Betroffenen bleiben unbeantwortet. Hinweise von Zeugen werden ignoriert. Die Opfer haben längst den Glauben an die Rechtsstaatlichkeit verloren. Besonders makaber dabei: Genau das ist es vermutlich, was die wohl dem ultrarechten Spektrum zuzuordnenden Täter beabsichtigen.

Dezember 2016: Der damalige Parteivorsitzende Thomas Purwin zieht sich aus allen Ämtern zurück, weil seine Familie von anonymen Mailschreibern bedroht wird. Der Fall sorgt bundesweit für Schlagzeilen. Der damalige NRW-Innenminister Ralf Jäger (SPD) bezeichnet die Arbeit der Polizeibehörde als „in Teilen nicht sachgerecht“. Es gebe „ermittlungstaktische Beanstandungen“ meint er. Vor allem kritisiert er, dass der Staatsschutz zu wenig mit den Opfern spreche.

Das bestätigen auch die Betroffenen. Wurden die ersten Mails in der Hoffnung auf schnelle Ermittlungserfolge noch an den Staatsschutz weitergeleitet, so verzichten die Mailemfänger inzwischen darauf. „Bringt ja eh nix“, so eine der Betroffenen. Made in Bocholt kann das bestätigen. Mehrfach hat auch unsere Redaktion Hassmails erhalten. Zweimal haben wir im Oktober 2016 nach vorheriger telefonischer Absprache entprechende Nachrichten an den Staatsschutz weitergeleitet und zudem, da die Mails über das Kontaktformular unserer Webseite verschickt wurden, die Freigabe sämtlicher Serverdaten angeboten. Reaktion der Behörde: nullkommanull. Bis heute warten wir auf Antwort.

+++ Ergänzung 16:00 Uhr +++

Noch schlimmer erging es offenbar einem Bocholter, in dessen Namen Hassmailschreiber einen falschen Leserbrief verfasst hatten. Der Mann ging zur Polizei und erstattete Anzeige wegen Identitätsdiebstahls. „Die Polizei konnte mit dem Begriff offenbar gar nichts anfangen und wollte die Anzeige gar nicht annehmen, weil es angeblich keinen Geschädigten gab“, berichtet der Bocholter. Erst als er auf eine Anzeige bestand, kam er ans Ziel. Das aber rächte sich Wochen später, als plötzlich Polizeibeamte in Zivil vor seiner Haustür standen und Zugriff auf seinen Computer verlangten. Man bezichtigte den Zeugen, eine Falschanzeige erstattet zu haben, um von seiner eigentlichen Täterschaft abzulenken. Der Bocholter war entsetzt, gewährte aber den Zugriff auf seine Daten, so dass sich der Fall schnell aufklärte. „Ich persönlich hatte den Eindruck, dass die Polizei überhaupt keine Ahnung von dem hatte, was sie da tat“, berichtet er heute nach Veröffentlichung unseres Artikels.

+++ Ende Ergänzung +++

Weniger der jahrelang ausbleibende Ermittlungserfolg als vielmehr die behördliche Ignoranz und Arroganz gegenüber den Opfern bringt diese auf die Palme. Derweil können die Täter ungestraft weiterdrohen. Nach Angaben der Behörden nutzen sie das Darknet, eine oft von Verbrechern genutzte, weil weitgehend anonyme Variante des Internets. Im Klartext: Polizei und Staatsschutz haben kapituliert. Ein Skandal!

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