GLOSSE: Im Verifizierungs-Wahn…



Eine Glosse von BERTHOLD BLESENKEMPER

Mein Vater ist 92. Aber topfit. Er fährt noch jeden Tag 20 Kilometer mit seinem E-Bike. Und Mittel gegen kleine Zipperlein oder für seine sieben Jahre jüngere Frau ordert er online. Nur an der Internet-Vereinbarung eines Corona-Impftermins ist er gescheitert. Ich habe ihm geholfen. Seitdem zweifle ich als Neu-Ü60er selbst an meinen digitalen Fähigkeiten.

Nach zwei Stunden an der Telefonhotline „der erste Kontakt“. Eine Riesenenttäuschung. Der Mitarbeiter am Ende der anderen Leitung bittet mich, es in 30 Minuten noch mal zu versuchen. Er könne momentan nichts machen, weil er selbst nicht ins EDV-System komme. Aha!? Ich will nicht so lange warten und versuche es online. Die Seite der Kassenärztlichen Vereinigung reagiert nicht. Da hilft nur ein Trick. RELOAD, RELOAD, RELOAD, RELOAD, RELOAD, RELOAD, RELOAD – das belastet den Server auf der anderen Seite zwar zusätzlich, aber ich bin irgendwann drin. Ich fühle mich wie dereinst Boris Becker, als er sich erfolgreich bei AOL einwählte. Die Älteren erinnern sich.

Jetzt geht’s los. „Sind sie verifiziert?“, fragt das System. Ich drücke auf „Ja“. Schließlich haben meine Eltern ja ein amtliches Schreiben erhalten, indem sie ausdrücklich zum Impfen eingeladen wurden. Falsch gedacht. Das Schreiben ist nur eine Einladung, keine Verifizierung. Also einen Schritt zurück. Ich werde aufgefordert, eine E-Mail-Adresse und Handynummer zwecks Empfanges einer SMS einzugeben. Klar, so etwas hat ja auch jeder Mensch, der Ende der 20er Jahre de vorherigen Jahrhunderts geboren wurde.

Ich nehme ersatzweise meine eigene Daten und erhalte eine Verifizierungscode. Den muss ich eingeben, um daraufhin eine Mail zu erhalten, deren Adresse es im Double-Opt-In-Verfahren zu bestätigen gilt. Und schon erhalten ich per Mail zwei weitere Verifizierungscodes. Mit dem ersten soll ich online Termin Nummer eins buchen können. Ich fülle ein Formular mit persönlichen Angaben meine Vater aus, wechsel ins e-Mail-Programm, um den Code zu kopieren, gehe zurück in den Browser, um den Code einzugeben und es öffnet sich – oh Wunder – eine Seite mit Terminvorschlägen.

Ich wähle einen Termin aus und suche verzweifelt nach einer Möglichkeit, auch meine Mutter einzutragen. Die will sich nämlich auch impfen lassen. Geht aber nicht. So etwas wie Ehegattensplitting sieht das System nicht vor. Als wieder drei Schritte zurück, um Termin zwei für meinen Vater zu buchen. Code zwei eingeben, Mail bestätigen, hin und her – fertig. Schweiß tropft mir von der Stirn.

Jetzt kommt meine Mutter an die Reihe. Email-Adresse und Handynummer eingeben, SMS empfangen Verifizierungscode 1 eintragen, Mailadresse bestätigen, Verifizierungscode2 erhalten, eintragen, bestätigen – und…Pech gehabt. Am Tag, an dem mein Vater geimpft werden soll, ist leider kein Termin mehr frei. Ich habe vermutlich einfach zu lange herumgedaddelt.

Aber ich bin ja lernfähig. Jetzt heißt es „Tempo, Tempo kleine Schnecken“. Wie ein Trommelfeuer hämmern meine Fingerkuppen auf den Monitor meines I-Phones. Wäre doch gelacht, wenn man das nicht schaffen könnte. Und es funktioniert. Vater und Mutter erhalten am gleichen Tag zur gleichen Zeit einen Termin. Ich bin stolz wie Bolle . Geht doch.

Jetzt warten wir auf die Impfung. Sicherheitshalber habe ich meine Eltern gebeten, schon mal sämtliche Anschreiben der Kassenärztlichen Vereinigung, ihre Geburtsurkunden, den Ehebefähigungsnachweis, Ausweise, Impfpässe, ihre Medikamentenliste, Kopien sämtlicher Vollmachten, Lichtbilder der vergangenen 20 Jahre und die Seriennummer ihres Freischwimmerzeugnisses herauszusuchen. Man weiß ja schließlich nicht, was noch so alles kommt, oder?

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