„Gewalt in Beziehungen ist keine Privatangelegenheit“



Kreis Borken. Das Thema häusliche Gewalt stand im Mittelpunkt der Sitzung des Arbeitskreises für die Gleichstellung von Mann und Frau, der jetzt im Borkener Kreishaus tagte. Dagmar Reimer, Opferschutzbeauftragte der Kreispolizei Borken, stellte dazu einige Zahlen vor: Die Fälle häuslicher Gewalt im Kreis Borken seien seit 2013 deutlich angestiegen. Lag die Zahl 2013 noch bei 438 Fällen, stieg sie in 2014 auf 481 und in 2015 auf 567 Fälle. Dieser Anstieg sei unter anderem auf die Sensibilisierung der Bevölkerung und die Schulung der Fachkräfte in den Tageseinrichtungen, Schulen und sonstigen sozialen Einrichtungen zurückzuführen. Hier leiste der Runde Tisch gegen häusliche Gewalt – „GewAlternativen“ – sehr gute Aufklärungs- und Vernetzungsarbeit.
Reimer erläuterte, dass verschiedene Straftatbestände wie Körperverletzung, Bedrohung, sexuelle Nötigung, Vergewaltigung, sexueller Missbrauch von Kindern, Nachstellung oder im schlimmsten Fall Tötungsdelikte in den Bereich häusliche Gewalt fielen. Sie betonte, häusliche Gewalt sei keine Privatsache, sondern ein Offizialdelikt. Das bedeute, dass die Polizei in Fällen häuslicher Gewalt von Amts wegen ermittle.
Im Durchschnitt benötige das Opfer sieben Anläufe, um sich von dem gewalttätigen Partner zu trennen. Bis eine Frau die Polizei zur Hilfe rufe, habe sie oftmals bereits drei bis fünf Jahre Gewalt erlebt. Die Gründe hierfür seien vielfältig: die Angst vor sozialem Abstieg, der Verlust des vertrauten sozialen Umfeldes, finanzielle Schwierigkeiten, mangelndes Zutrauen in die eigenen Fähigkeiten, Pflichtgefühl gegenüber den Kindern oder Angst vor weiterer massiver Gewalt oder Stalking. Die Höhe des Strafmaßes für die Täter sei insbesondere bei schwerwiegenden Delikten, wie zum Beispiel Vergewaltigung oder sexuellem Missbrauch, beschämend gering, konstatierten die Mitglieder des Arbeitskreises. „Die Opfer haben oftmals lebenslänglich“, fasste die Opferschutzbeauftragte am Ende ihre Ausführungen zusammen.
Silke Hempen, Leiterin des Frauenhauses in Bocholt, schilderte in beeindruckender Weise, wie der Teufelskreis häuslicher Gewalt aussieht. Zunächst hätten die Frauen, die den Weg in das Frauenhaus suchten, diesen Teufelskreis zwar durchbrochen. Aber die Erfahrungen zeigten, dass viele Frauen – manchmal schon nach kurzer Zeit – trotz teils schwerer Traumatisierung wieder zu ihren gewalttätigen Männern zurückkehrten. Drohungen wie „Ich nehme Dir die Kinder weg…“, spielten hierbei eine wesentliche Rolle. Das Frauenhaus habe 2016 eine Auslastung von 100 Prozent gehabt. 60 Frauen und 82 Kinder seien in der Bocholter Einrichtung betreut und begleitet worden. In Deutschland gebe es insgesamt 360 Frauenhäuser, die grundsätzlich für alle Frauen offen stünden. Diese suchten sich verständlicherweise häufig ein Frauenhaus aus, dass von ihrem Wohnort weiter entfernt sei. So seien auch im Bocholter Frauenhaus viele Frauen untergebracht, die nicht aus Bocholt stammten. Die Finanzierung erfolge über Landes-, Kreis- und kommunale Mittel. Es erfolge eine Kostenerstattung der Sozialämter untereinander.
In manchen Fällen, zum Beispiel wenn die betroffenen Frauen über eigenes Einkommen verfügten oder bei Flüchtlingsfrauen, deren Status noch nicht geklärt ist, sei die Finanzierung mit öffentlichen Mitteln schwierig. Bisher seien aber immer individuelle Lösungen gefunden worden. Die Frauen verblieben zwischen wenigen Tagen und einigen Monaten im Frauenhaus. Das Zeitalter des Mobiltelefons mache es den Frauen oft schwer, ausreichend Abstand von den Männern zu bekommen. Auch das führe dazu, dass die Frauen das Frauenhaus wieder verließen und zum gewalttätigen Partner zurückkehrten.
Die Mitglieder des Arbeitskreises sprachen sich einhellig für die weitere Unterstützung der Frauenhausarbeit und der Arbeit des Runden Tisches „GewAlternativen“ aus. „Ich bin zutiefst beeindruckt von der hervorragenden Arbeit, die in den Frauenhäusern, aber auch bei der Polizei geleistet wird. Wir sollten uns als Politikerinnen und Politiker nach unseren Möglichkeiten dafür einsetzen, dass diese wichtige Arbeit nicht an finanziellen Rahmenbedingungen scheitert“, bilanzierte die Vorsitzende des Arbeitskreises, Annette Demes aus Ahaus, am Ende der Sitzung.

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