Gratis Kaffee statt „tingeltangelmäßiger Veranstaltungen“ / Stadtarchiv Bocholt erinnert an die alte Gaststätte „Haus Tenbeck“



Gratis Kaffee statt „tingeltangelmäßiger Veranstaltungen“

Bocholt (PID). Viele Bocholter werden sich noch an die alte Gaststätte „Haus Tenbeck“ erinnern, die an der Straßenecke Karolinger-/Lothringerstraße lag. Fast ein Jahrhundert lang gingen hier die Gäste ein und aus. Später firmierte das Lokal zeitweise auch unter dem Namen „Zum Siekenhof“. Daran erinnert nun das Bocholter Stadtarchiv mit seinem historischen Foto des Monats.
Im Zweiten Weltkrieg bis auf die Grundmauern zerstört, konnte der Betrieb in den späten vierziger Jahren wieder aufgenommen und die Wirtschaft stetig erweitert werden. Das 1956 entstandene Foto zeigt eine Ansicht des Hauses mit seiner ursprünglich verputzten Fassade und den ehemals ornamentierten Fenstereinfassungen. Im Jahr darauf schon erhielt sein Äußeres durch eine Verklinkerung ein völlig neues Gesicht. Rechts im Bild sieht man die Einfahrt in den nördlichen Teil der Lothringerstraße.
Beliebt bei Mussumer Frauen
Angefangen hatte alles mit dem Kleinhändler Bernhard Belting (1853-1917) aus Loikum, der das Wohn- und Geschäftshaus in der ersten Jahreshälfte 1906 errichtete. Als er am 5. Januar 1908 den Antrag zum Betrieb der Gast- und Schenkwirtschaft stellte, befürwortete Polizeiinspektor Wilhelm Korn sein Gesuch und stellte fest: „Die Verhältnisse haben sich seit Erteilung des letzten abschläg[igen] Bescheides geändert. Geuting (Arab[isches] Kaffee) hat seine Kolonialwarenhandlung aufgegeben, und die Kirchgänger aus Mussum verkehren dort nicht mehr, sondern bei Belting, wo sie gelegentlich des Kirchgangs ihre Waren kaufen und wo sie auch ihre Fuhrwerke einstellen. An den beiden letzten Sonntagen war der Stall bei Belting mit durchschnittlich 6 Pferden nach jedem Gottesdienste besetzt und in der Küche saßen durchschnittlich je 30 Frauen, denen ohne Bezahlung Kaffee verabreicht wurde. […] Die bei Belting einkaufenden Mussumer Frauen werden dort von ihren Männern abgeholt, und es kommt weiter noch in Betracht, daß die biederen Mussumer Bauern das Lokal des Geuting jetzt meiden, weil dort in letzter Zeit tingeltangelmäßige Veranstaltungen (u. a. Vorzeigung von Riesendamen etc.) stattgefunden haben.“
Abriss nach 99 Jahren
Nach dem Tod von Bernhard Belting übernahm dessen Schwiegersohn Heinrich Puhe die Gaststätte. Dieser verkaufte das Geschäft im Oktober 1936 an Bernhard Tenbeck aus Dingden, der die Wirtschaft seinerseits 1964 an seinen Sohn Bernhard jun. übergab. Ab 1970 waren wechselnde Inhaber in dem Gasthaus tätig, das auch zeitweise unter der Bezeichnung „Zum Siekenhof“ bekannt war. Im Frühjahr 2005 wurde das 99 Jahre alte Haus schließlich aufgegeben und abgebrochen.

Text: Wolfgang Tembrink / Foto: Stadtarchiv Bocholt

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