IM INTERVIEW: Bürgermeister hegt Zweifel an neuer städtischer Wohnungsbaugesellschaft



Von BERTHOLD BLESENKEMPER

Seitdem die Schwerpunktstaatsanwaltschaft Wirtschaftskriminalität die Räume der EWIBO, Jusina und der PSA GmbH durchsucht und jede Menge Material beschlagnahmt hat, steigt der Druck auf Bürgermeister Thomas Kerkhoff. Vor allem seine Entscheidung, der Tochtergesellschaft in der Folge das millionenschwere Bauprojekt am Heutingsweg wegzunehmen, sorgt für Kritik. Im Interview mit Made in Bocholt erklärt der Verwaltungschef unter anderem, warum das aus seiner Sicht notwendig war und warum Bocholt keine neue, zusätzliche Wohnungsbaugesellschaft braucht.

MiB: Herr Bürgermeister, das Thema EWIBO beschäftigt Bocholt. Im Rat hat es dazu neulich Streit gegeben. Können Sie kurz erklären, worum es ging? 

Thomas Kerkhoff: Kurz ist in dem Fall schwierig. Aber man kann grundsätzlich drei Stränge aufmachen. Das eine ist, dass bedingt durch eine anonyme Anzeige eine staatsanwaltliche Ermittlung in Gang gesetzt wurde, so dass in der Folge ein Durchsuchung der Räume der EWIBO, des Vereins Jusina und der PSA GmbH und eine Beschlagnahme erfolgt ist. Das ist der strafrechtliche Komplex, der insofern einen Streit im Rat ausgelöst hat, als daran auch die Frage hing, ob das städtische Rechnungsprüfungsamt, das weisungsungebunden vom Bürgermeister und Hilfsorgan des Rates ist, hier als Hilfsperson der Staatsanwaltschaft auf deren Anfrage tätig werden darf oder nicht. Das haben wir aber sauber abgearbeitet. Das alles hat dann dazu geführt, dass man sich alle die Details genau angeschaut und hinterfragt hat. Und das führte in einem zweiten Strang dazu, dass man bei manchen Themen, die nicht strafbewährt sind, über die möglichen Aufgaben aus dem Gesellschaftsvertrag der EWIBO diskutiert hat. Und drittens stellte sich die organisatorische Frage: Wie wollen wir in welcher Struktur künftig Dinge erledigen? Und das sind die drei Dinge, an die man jetzt ran muss. 

MiB: Hat die EWIBO in der Vergangenheit denn Dinge gemacht, die sie gemäß Gesellschaftsvertrag nicht hätte machen dürfen, oder worum geht es dabei? 

Thomas Kerkhoff: Man muss zumindest die Frage stellen, ob das alles vollumfänglich vom Gesellschaftsvertrag umfasst war und was im Hinblick auf die Gemeinnützigkeit der Gesellschaft potenziell gefährlich sein könnte oder ist. Und auch das ist eine sehr komplexe Debatte. Man muss ja als Aufsichtsorgan einer solchen Gesellschaft peinlichst darauf achten, keine Haftungsrisiken zu produzieren. Wenn im Bereich der Bautätigkeit beispielsweise die Kosten aus dem Ruder laufen, muss man eine Antwort haben, wer das bezahlt. Und das darf nicht dazu führen, dass in diesen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb, der einer gemeinnützigen Gesellschaft in Teilen durchaus erlaubt ist, Geld aus dem gemeinnützigen Teil transferiert werden. Das wiederum wirft die Folgefrage auf, wer die Kosten trägt, wenn ein Bau plötzlich teurer wird. Und diese Frage wird momentan nicht einheitlich beurteilt. Aber nur einfach zu sagen, das ist bisher nicht kritisiert worden oder alle haben gesagt, das geht so, das ist mir zu einfach. Das müssen wir verbindlich absichern. 

MiB: Haben Sie Angst, dass sich die früheren Einschätzungen dieser Sachlage eventuell als falsch herausstellen könnten und der EWIBO womöglich die Gemeinnützigkeit aberkannt wird, was mit gewaltigen Steuernachforderungen verbunden sein könnte? 

Thomas Kerkhoff: Angst ist die falsche Kategorie. Aber so etwas müssen wir zumindest im Blick haben und da müssen wir sicherlich auch absichernde Maßnahmen treffen. Aber das entbindet uns ja nicht von der Aufgabe. Selbst wenn ich nun Sorge davor hätte, muss ich das Problem angehen und das sowohl für die Stadt Bocholt und damit als Eigentümerin, als auch als Aufsichtsratsvorsitzender als auch als Vorsitzender der Gesellschafterversammlung. Ich habe da viele Rollen und deshalb treibt mich das Thema auch sehr um. Aber das alles entbindet ja nicht von der Aufgabe. Deshalb müssen wir jetzt gemeinsam da durch. 

MiB: Solch ein Fall wirft auch einen Schatten auf den sogenannten „Konzern“ Stadt. Was muss sich dort ändern? 

Thomas Kerkhoff: Der Begriff „Konzern“ ist ein Fachbegriff aus der öffentlichen Finanzierung und ein durchaus gängiger Begriff. Und bei der Stadtgröße Bocholts ist es auch nicht unüblich, dass man verschiedene Beteiligungen hat. Da gehören die Stadtwerke dazu, das Stadtmarketing oder auch eine Sozialgesellschaft. Dagegen hat ja auch niemand etwas. 

MiB: Aber in der Organisationsstruktur gibt es in Bocholt unter den Tochtergesellschaften auch noch ein paar Vereine wie beispielsweise Jusina und LIA , die auf dem Papier offiziell gar nicht zur Stadt gehören, auch wenn sie fast ausschließlich Geschäfte mir der Stadt machen und Aufträge von ihr bekommen. Eine solches Konstrukt hat ihr Rechtsbeistand mal als „rechtlich fragwürdig“ bezeichnet. Wie sehen Sie das? 

Thomas Kerkhoff: Der Begriff fragwürdig ist wertend. Aber das Konstrukt wirft zumindest Fragen auf. Man muss klar sagen, die EWIBO ist eine 100-prozentige Tochter der Stadt, aber die Vereine sind rechtlich losgelöst davon. 

MiB: Warum hat man sie denn dann überhaupt gegründet? 

Thomas Kerkhoff: Die Vereine seinerzeit zu gründen, war eine Förderthematik. Bei vielen Dingen, die die Vereine machen, hat man sich damals zunutze gemacht, dass bestimmte Förderungen nicht an den öffentlichen Bereich gehen durften aber an den privaten. Und dazu gehören eben auch Vereine. Diese bewusste Trennung hat man sich zunutze gemacht, indem man gesagt hat, die Vereine können an Fördertöpfe ran, die man sonst nicht erschließen kann. Wir müssen uns aber dieser Struktur jetzt stellen und fragen, ob diese Vorteile heute überhaupt noch da sind und ob man das noch weitermachen will. 

MiB: Es gibt ja auch Nachteile. Denn Vereine, die rechtlich losgelöst sind, kann man als Stadt nicht kontrollieren, oder? 

Thomas Kerkhoff: Das ist immer untrennbar damit verbunden, wenn man etwas aus seiner Aufsichts- und direkten Zugriffsstruktur entbindet. So etwas ist immer auch mit mehr Autonomie für diese Einheit verbunden. Wir können uns nicht in die Vereine oder die Gesellschaft darunter einmischen. 

MiB: Gerade die Gesellschaft unter den beziehungsweise im Besitz der Vereine Jusina und LIA, die PSA GmbH, ist zumindest nicht unumstritten, da sie mit einer Personalvermittlung, mit dem Betreiben eines Hotels und einigem mehr Geschäfte macht, die Kommunen nicht erlaubt wären und die den gewerbesteuerzahlenden Unternehmen in der eigenen Stadt direkte Konkurrenz machen. Sehen Sie das auch als Problem? 

Thomas Kerkhoff: Ob das ein Problem ist, will ich nicht abschließend beurteilen. Aber man kann sich in der Tat die Frage stellen, ob das so gewollt oder Ziel ist? Ob das eine Gestaltung oder eine Umgehung der gesetzlichen Vorgaben ist, das werden wir uns jetzt noch mal genau ansehen. 

MiB: Die EWIBO selbst hat auch Geschäfte gemacht, die Unternehmen, Handwerker, Immobilienhändler, Caterer und selbst Wohlfahrtsverbände verärgert hat. Hat man sich damit das Leben nicht selbst schwer gemacht? 

Thomas Kerkhoff: Genau das muss man jetzt diskutieren und auch gut hinterfragen. Ist das die bewusste politische Entscheidung auch in Kenntnis aller Fakten und im Zweifel auch der Risiken? Oder kommt man zu einer Neubewertung. Der Bereich Schulverpflegung ist da so ein Grenzfall. Man kann das als Stadt selbst machen, man kann das aber auch ausschreiben. Aber es muss eine bewusste Entscheidung sein. Und die muss auch von Zeit zu Zeit hinterfragt werden, und sie muss sich vor allem an Kriterien orientieren. Aber da schaut ja mit der Staatsanwaltschaft jetzt eine unabhängige Behörde drauf und die gibt uns dann dazu eine bestimmte Rückmeldung. Das alles wird man dann in seine Bewertungen einfließen lassen. 

MiB: Und wie sieht es mit der geplanten eigenen städtischen Wohnungsbaugesellschaft aus? 

Thomas Kerkhoff: Ich glaube schon, dass es einen berechtigen Teil von Kommunalwirtschaft gibt, in der auch eine Kommune tätig sein kann. Der Wohnungsbau gehört dazu. Der ist eindeutig als kommunaler Zweck zugelassen, obwohl auch Private damit Geld verdienen. Aber vielleicht macht man das, wenn man gerade erst im Aufbau damit ist, heute nicht mehr selber, sondern schaut, wie man eine möglichst passend Struktur hinbekommt, die vielleicht noch mehr Belange berücksichtigt. Wie will man sich dem Thema geförderter Wohnungsbau oder preisgedämpfter Wohnungsbau nähern? Ich habe dem Rat da ein paar Ideen mitgegeben, wie man es machen könnte. Natürlich kann man sagen, das regelt schon der freie Markt. Das ist offen gesagt nicht mein Ansatz. Aber es kann eine Teillösung sein. Man kann sich aber auch dem bestandhaltenden, genossenschaftlichen Bereich nähern. Das gibt es starke Player am Markt. Man kann es natürlich auch als Stadt selber machen. Und man kann, und das muss man sich auch anschauen, eventuell eine hybride Lösung diskutieren. Aber man darf nicht von vorneherein sagen, so oder so muss es auf jeden Fall laufen. Das war vielleicht manchmal in der Vergangenheit das Thema, dass man genau zu wissen glaubte, wie es zu laufen hat und nicht die Breite an Möglichkeiten diskutiert hat. 

MiB: Haben Sie angesichts dieser vielen Möglichkeiten in der Wohnungsbaufrage einer persönliche Präferenz? 

Thomas Kerkhoff: Wesentlich ist nur, das überhaupt gebaut wird. Und die Stadt muss darauf achten, dass von Profis und zu bezifferbaren Kosten gebaut wird. Man braucht Grundstücke, man braucht Kapital und man braucht Leute, die bauen können. Gerade in Sachen Kapital prüfen mehrere Kommunen gerade, ob man eine eigene Wohnungsbaugesellschaft aufbauen kann. Aber so etwas ist verflixt kapitalintensiv. Und mit Blick auf den Gesamthaushalt der Stadt, muss man sich ernsthaft fragen, ob das die beste Struktur ist, die man vorlegen kann. Und daran habe ich Zweifel. 

MiB: Gerade in Sachen Professionalität konnte EWIBO als Neuling in der Branche nicht oder nur schwer mithalten. War sie überfordert? 

Thomas Kerkhoff: Ich glaube, ich bin nicht ungerecht, wenn ich sage, dass man von einer Gesellschaft, die früher andere Zwecke hatte und die sich zwar immer auch um das Thema Versorgung mit Wohnraum für Menschen mit speziellen Bedarfen gekümmert hat, nicht ohne Weiteres verlangen kann, dass die plötzlich das Know-how hat, um mit einem Male Großprojekte stemmen zu können. Und man muss sehr gut wissen, welchen Kompetenzen man hat und welche auch nicht. Wenn wir als Stadt beispielsweise uns plötzlich auf die Fahne schreiben würden, als Kommune ein Kraftwerk zu betreiben, dann würde ich sagen: Das kann ich doch gar nicht, dafür habe ich das Know-how nicht, dafür habe ich keine Leute und damit gehe ich vielleicht Risiken ein, die ich nicht überschauen kann. So etwas würde ich nicht machen. 

MiB: Genau das ist gerade auch ein Vorwurf, dem sich die EWIBO als scheinbare „Allkompetenzfirma“ gegenübersah. Hat die Politik mit dazu beigetragen, indem sie der EWIBO immer wieder neue Aufgaben aufs Auge gedrückt hat? 

Thomas Kerkhoff: Bei dieser Frage kann ich gerne mal eine Lanze für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der EWIBO brechen und sagen: Genauso war das. Und das war auch nicht nur gut mit Blick auf die Frage, welche Ausrichtung man einer städtischen Tochter geben will. Man kann den Stadtwerken ja auch nicht plötzlich sagen, sie solle sich mal um Obdachlose kümmern. Machbar wäre das schon. Aber ist das auch sinnvoll? 

MiB: Zwingen Sie die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen jetzt zum Handeln oder wären Sie das Thema Konzernstruktur in der Stadt ohnehin irgendwann angegangen? 

Thomas Kerkhoff: Das Thema ist jetzt einfach da. Natürlich hätte ich nie nach nur fünf Monaten im Amt angefangen zu sagen, als erstes nehmen wir uns mal den dicksten Batzen an freier kommunalwirtschaftlicher Beteiligung vor und gehen ganz ohne Vorbereitung mittenrein. Aber wenn sie dann einmal hinschauen müssen, dann stellen sich Themen und damit muss man diese dann auch abarbeiten. 

MiB: Sind Sie dabei enttäuscht, dass Ihre Partei, die CDU, Ihnen bislang öffentlich kaum den Rücken gestärkt hat, sondern sich vornehm zurückhält? 

Thomas Kerkhoff: Ich verstehe mich als Bürgermeister aller Bocholterinnen und Bocholter. Ich bin zwar Mitglied einer Partei aber sicherlich nicht deren Diener. Es gibt Personen im Stadrat, die sehen das, was ich mache, kritisch, es gibt aber auch manche, die sagen, so jetzt wird endlich mal angepackt. Ich würde mir mir aber wünschen, dass man hinter den Entscheidungen, die ich manchmal auch einfach treffen muss, nicht immer eine politische Agenda sieht, sondern auch mal sagt, dass ich einfach nur meinen Job ernst nehme. Entweder man macht oder man sagt, nee ich nicht, ich schaue da lieber mal weg. Aber das ist nicht mein Ansatz. 

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