KOMMENTAR: Nur in Bocholt sind die Bürger für „komplexe“ Themen zu dumm



Von BERTHOLD BLESENKEMPER

Was haben Delbrück, Siegburg, Olpe, Brühl, Weeze, Ratingen, Lohmar, Hürth, Waldbröhl, Kirchlengern, Leverkusen, Bonn und Ahlen gemeinsam. Nun, die Bürgerinnen und Bürger all dieser Städte und Gemeinden in Nordrhein-Westfalen haben in den vergangenen Jahren per Bürgerentscheid über die Zukunft ihres Rathauses selbst bestimmt. Deutschlandweit sind es sogar noch deutlich mehr. Die Bocholter allerdings scheinen für derart „komplexe“ Themen schlichtweg zu dumm zu sein. Diesen Eindruck vermittelte gestern der Rat. Er hat die über 64,73 Millionen Millionen teure und am Ende wahrscheinlich noch wesentlich teurere Sanierung des Rathauses mit großer Mehrheit im Alleingang beschlossen und einen Bürgerentscheid abgelehnt. Das wäre nicht weiter schlimm, hätten einige Parteien und die meisten Bürgermeisterkandidaten nicht vorher genau das Gegenteil zugesagt.

Das Thema Rathaussanierung war auch vor der Kommunalwahl bereits sehr komplex. Das hielt die Politik damals nicht davon ab, einen Bürgerentscheid zu versprechen. Die Sanierungskosten waren auch schon vor dem 13. September 2021 sehr hoch. Dennoch sagte Bürgermeister Kerkhoff zu, dass bei Kosten über 50 Millionen seiner Ansicht nach nicht saniert werden dürfe. Eine Wählertäuschung, wie sich heute herausstellt. Und auch damals war klar, dass es schwer werden würde, den Denkmalschutz zu kippen. Dennoch versicherten viele, es ganz fest zu versuchen. Eine Lüge, wie man heute weiß.

Fazit: Die Wählerinnen sind kompetent und vor allem gut genug, die Zukunft ihrer Stadt über Jahre im voraus zu bestimmen und den Parteien Macht sowie den Bürgermeistern sechsstellige Jahresgehälter zu sichern. Danach aber hat der Wähler seine Schuldigkeit getan und kann gehen. Für mehr fehlt ihm nach Ansicht der Stadtverordnetenversammlung schlichtweg die Kompetenz. Ein weiterer Tropfen auf den heißen, eigentlich schon lichterloh brennenden Stein der Politikverdrossenheit.

  1. Axel Teurlings says:

    Bocholt ist meine Heimatstadt. Ich bin hier geboren, weiß aber nicht ob ich hier alt werden möchte. Durch all die Entscheidungen der letzten Zeit fühle ich mich hier nicht mehr Zuhause. Auch ich habe unseren Bürgermeister gewählt. Die Motivation war es einen Verwaltungsfachmann an die Spitze zu holen der für schlankere, effizientere Strukturen und eine dem Bürger zugewandte Politik steht. Es war ein ganz klarer Fehler. Diese vom Bürger unabhängige Politik trifft aber auch auf die anderen Parteien in Bocholt zu. Ich habe den Eindruck die verwalten sich alle bloß selbst. ich hatte bereits vor einigen Monaten in der Bocholter Presse die Prognose gestellt, dass der Rathhausumbau nicht unter 100 Millionen kostet. Nun ist die Rechtfertigung ja, unabhängig von den kommunizierten Kosten, da. Ein weiteres Stockwerk.

  2. Birgit Unland says:

    Axel, Deine Worte kann ich nachvollziehen. Ich bin stolz in Deutschland zu leben, weil hier Demokratie herrscht, Meinungsfreiheit und ich erlaube mir meine Meinung:

    Jedes Unternehmen, dass 100 Millionen in ein Gebäude, eine Maschine, eine Immobilie steckt, muss einen Wirtschaftlichkeitsplan vorlegen. Unter dem Strich muss ein RoI stattfinden, ein Return on Investment. Wie sieht diese Betrachtung für Bocholts Rathaus aus? Arbeiten die Verwaltungsfachangestellten nach der Sanierung schneller, besser, gesünder, bürgernaher? Zieht das Gebäude Menschen aus aller Welt an, die es besichtigen wollen und damit in unsere Stadt kommen und hier bestenfalls noch in der Stadt konsumieren. Haben wir uns in den 70er-Jahren auf einen Deal eingelassen, der als Immobiliengrab in den 20-ern vorauszusehen war?
    Fairerweise muss man sagen: Die Verwaltung heute muss sich mit dem Auseinandersetzen was die Vorgänger und Vor-Vorgänger hinterlassen haben. Dennoch muss es in einer Demokratie, inmitten einer Pandemie, in einer Zeit wo Umweltschutz und Katastrophenschutz von jedem verstanden werden, möglich sein inne zu halten und Prioritäten neu zu setzen.

    Meine Idee: Macht einen Kletter- Freizeitpark aus dem Gebäude, eine Stelle wo Menschen sich wirklich treffen wollen, wo Innovation, Sport und Kultur zusammen finden. Ein Treffpunkt für den Menschen anreisen, um in unsere Stadt zu kommen, weil sie 5 oder 8 Stunden unbeschwerte Freizeit leben wollen, eine Kulturstätte wo mit dem Theater E und U zusammen finden. Gebt dem ganzen einen neuen Sinn. Lasst hier Architekten ran, die für die Menschen bauen und nicht für ihr Ego. Damit lässt sich wirtschaften. Sucht einen Investor und nehmt ihm die Entscheidung der Sanierung durch echte Kooperation ab. Wir dürfen uns von den Egos der Vergangenheit nicht diktieren lassen, wie wir unsere Zukunft zu gestalten haben.

    Abreißen ist in meinen Augen auch keine Option, doch ein neuer Sinn ist eine Option, architektonisches Recycling mit Innovation und Begegnung.

  3. Guenter Rosenfeld says:

    Berthold, wieder mal ein sehr treffender Kommentar von Dir, auch Axel Teurlings und Birgit Unland kann ich inhaltlich voll und ganz zustimmen. Ich bin froh das ich seinerzeit einen anderen Bürgermeisterkanditen gewählt habe.

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