MIT KOMMENTAR: „Nörgens bäter“ als Bocholter Antwort auf „Mia san Mia“

Lesezeit ca. 4 Min.

Hat der alte Slogan „Nörgens bäter as in Bokelt“ tatsächlich ausgedient? Bürgermeister Thomas Kerkhoff meint ja. Prompt wurden Restbestände von Werbeträgern mit dem Spruch bei der Tourist-Info aus dem Programm genommen. Die Politik ist teilweise entsetzt. „Nörgens bäter as in Bokelt ist die münsterländische Antwort auf Mia san Mia. Niemand in Bayern käme auf die Idee, die Erwartungshaltung und Ambitionen runterzuschrauben, nur weil es mal nicht läuft“, kommentiert FDP-Fraktionschef Burkhard Henneken. 

Scharfe Kritik kommt von den Grünen. „Man könnte glauben, unser Bürgermeister handelt nach dem Motto: Ich baue mir Bocholt so, wie es mir gefällt.  Aber einen solchen, über viele Jahre etablierten Spruch auszuwechseln, ist nicht zielführend“, schreibt Monika Ludwig. Für sie ist das ein  Zeichen mangelnder Identifikation von Thomas Kerkhoff mit Bocholt. „Erstaunlich, dass die CDU ihn dabei unterstützt“, so die Sprecherin der Grünen im Rat.

Die Unions-Fraktion unterstützt tatsächlich die Ankündigung des Bürgermeisters, eine neue Dachmarketingstrategie entwickeln zu wollen und verweist auf die früheren Ansätze, aus Bocholt eine Europastadt, Fahrradstadt oder Hochschulstadt machen zu wollen. „Die Frage, wie diese Strategie konkret aussehen kann, sollte aus Sicht der CDU Inhalt intensiver Beratungen unter Beteiligung der Bürger sein“, so Sprecher Jannick Behrens. Auf den Wegfall von „Nörgens bäter“ geht er allerdings nicht ein.

Für die SPD-Fraktion bedeutet „nörgens bäter“, dass Bocholt, sich immer wieder neu erfindet, Veränderung zulässt und Perspektiven für Wandel aus Zuzug entwickelt. Der palttdeutsche Slogan stehe für eine Stadt, die mutig Veränderung anpacke, sich auf die eigenen, städtischen Stärken besinne, beherzte Innovationen anstoße und für Menschen Teilhabe ermögliche und organisiere, so Sprecher Martin Schmidt. „Die jetzt begonnene Diskussion um das Etikett darf den Blick auf die dringend gebotene Debatte zu einer Vision einer langfristigen Entwicklungsperspektive für unsere Stadt nicht verstellen“, meint er in einer Stellungnahme.

FDP-Fraktionssprecher Burkhard Henneken hingegen bezweifelt, dass es mit einem austauschbaren Marketingspruch einer Agentur gelingt, die großen Herausforderungen zu meistern. Wesentlich wichtiger sei es, in Zeiten maroder Infrastruktur, staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen gegen städtische Tochterunternehmen, einer fehlenden Veranstaltungshalle und stockender Bauprojekte den alten Spruch mit neuem Leben zu füllen, so der Liberale.

KOMMENTAR

Von BERTHOLD BLESENKEMPER

Eines ist sicher. Es muss etwas Neues, Modernes her. Da hat Bürgermeister Thomas Kerkhoff vollkommen Recht. Aber noch mehr als eine Dachmarkenstrategie, die in einem Markenfindungsprozess eher erst an dritter oder vierter Stelle kommt, braucht die Stadt zunächst einmal eine Vision, einen Traum. Und genau das ist „Nörgens bäter as in Bokelt“. Der Spruch vermittelt den in der Zeit des Wiederaufbaus einer völlig zerstörten Stadt gewachsenen, für Außenstehende zugegeben etwas arrogant klingenden Wunsch, in der schönsten Heimat weit und breit zu leben oder zumindest leben zu wollen. Aus diesem hohen, selbst auferlegten Anspruch wiederum leitete sich früher das Handeln – im Marketingdeutsch „Mission“ genannt – für die Verantwortlichen im Rathaus ab.

Wenn der Bürgermeister jetzt diesen plattdeutschen Slogan auf den Müllplatz der Geschichte entsorgen will, dann erweckt er – wie auch FDP-Fraktionsvorsitzender Henneken indirekt vermutet – damit den Eindruck, eigentlich lieber die Erwartungen auf ein mittleres Normalmaß herunterzuschrauben zu wollen. Das aber kann nicht der Anspruch sein. Nichts spricht also dagegen, den Bocholtern insgeheim ihren Traum zu lassen und parallel dazu eine moderne, der heutigen Zeit entsprechende Strategie aus der Vision „Nörgens bäter as in Bokelt“ abzuleiten.

Das allerdings sollte der Bürgermeister meiner Meinung nach erfahrenen Markenbildungs-Experten überlassen. Sonst kommt womöglich in einem semi-demokratischen Prozess wieder so etwas wie das Krickel-Krackel-Logo zum Stadtjubiläum oder die urplötzliche Erfindung einer „Altstadt“ heraus.

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  1. Das Herr Kerkhoff macht was er will ist doch nichts neues. Das macht er doch in allen Bereichen ob es gut ist oder nicht. Jetzt soll es also eine Dachmarketingstrategie werden. Bis jetzt sind doch alle Strategien ins leere gelaufen, daran wird auch eine neue Strategie unter Beteiligung der Bürger nichts ändern. Das Problem sind doch die hohen Mieten in der Innenstadt, die durch einen „elitären“ Club von Eigentümern hoch gehalten werden. Daran wird sich ganz unabhängig von einer Strategie rein gar nichts ändern. Es scheint halt genug Kapital da zu sein um nicht auf die Mieten angewiesen zu sein.

  2. Antonius Mayland says:

    Schöne Vokabel, „Dachmarketingstrategie“….
    Man kann aus Bocholt nichts machen, was es nicht ist.
    Vielleicht prüft man mal, was da ist und sich darauf aufbauen lässt.
    Nicht dass im Gedächtnis derjenigen, die man erreichen möchte, nur das Negative bleibt.
    Und bitte nicht sowas wie „das Lächeln im Münsterland“, ein bisschen mehr Hand und Fuß sollte es schon haben.
    Wir liegen nun mal im Achterhoek, wie die Holländer das nennen, da bedürfte es schon einer intensiven Beschäftigung mit dem Thema, so ein Schnellschuss wie beim Neujahrsempfang ist da wohl nicht hilfreich.

  3. Hans-Jürgen Wimmer says:

    Dieser Bürgermeister scheint sich mit Bocholt nicht zu identifizieren. Mich beschämt das als ehemaliger alter Bocholter und nunmehr seit über einem Jahrzehnt nur noch aus der Ferne am Bocholter Geschehen teilnehmender “Meckermann”. Mit Wehmut denke ich an Günther Hochgartz, seinerzeit nicht nur ein hervorragender Vertreter Bocholts sondern auch ein Oberbürgermeister mit Herz und Verstand! Beides scheint Herrn Kerkhoff zu fehlen. Viele Grüße aus Berlin, Hans-Jürgen Wimmer

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