Serie 36,5 Grad: Urban Schneider - der Motorradphilosoph

Serie 36,5 Grad: Urban Schneider – der Motorradphilosoph

 Von BERTHOLD BLESENKEMPERDie Garage ist sein Wohnzimmer. Hier gesellt sich das Milch- zum Ölkännchen, die Couch zur Werkbank, der Kaffeelöffel zum Schraubenschlüssel. In den Glasvitrinen liegen Zylinderköpfe statt Porzellanfiguren. In dieser Mischung aus Museum und Werkstatt lebt – zumindest zeitweise – Urban Schneider, Jäger und Sammler, Schrauber und Bastler, Motorradphilosoph. „Man muss schon manchmal ein wenig verrückt sein im Leben. Aber dafür macht es dann auch umso mehr Spaß“, erklärt der 50-jährige Bocholter seine Leidenschaft für Maschinen, die bevorzugt älter sind als er. Am liebsten mag Schneider die Gespanne mit Beiwagen.Begonnen hatte alles im Alter von 14 Jahren. Der Junge aus Holtwick durfte bei einem Bekannten mitfahren und fing sofort Feuer. Das war es. Das kam dem Traum von Freiheit und Abenteuer schon sehr nahe. Gleichwohl dauerte es noch etwas, bis sich Urban Schneider selbst motorisieren durfte. Den Anfang machte eine Mobylette, eine französische Mofa. Es folgten während seiner Ausbildung zum Industriekaufmann bei einer Bocholter Türenfabrik mit einer Honda MT8 ein Leichtkraftrad,  dann mit der R25/3 von BMW die erste schwere Maschine. Zahlreiche weitere folgten. „Heute habe ich so 14 oder 15, so genau weiß ich das nicht. Vier davon  sind fahrtüchtig“, berichtet Schneider.Der 50-Jährige versteht sich als Motorradfahrer, nicht als Biker. Der Unterschied zwischen den beiden „Spezies“ liegt im bevorzugten Tempo. Der Bocholter und seine Freunde reisen lieber statt zu rasen. Im so genannten „Blumenpflückermodus“ geht es über die Landstraßen. „Autobahn  fahre ich so gut wie nie“, erklärt Schneider.Mehr noch als das Cruisen liebt es das Basteln. Fast macht es den Eindruck, als freue er sich insgeheim, wenn die Maschine stottert oder das Getriebe knackt. Dann wird das unter Brennholz, Bier und Lebensmitteln verstaute Werkzeug ausgepackt und es geht los. Hämmern, schrauben, ausbeulen, abdichten – was nicht passt, wird passend gemacht. Das ist dem Bocholter derart in Fleisch und Blut übergegangen, dass er sich auch beruflich entsprechend verändert hat. Heute handelt Urban Schneider mit Frisörzubehör, berät die Handwerker bei der Einrichtung ihrer Läden und legt dabei liebend gerne auch selbst mit Hand an.Nicht anders ergeht es ihm in seinem Hobby. Hier paart sich die Kreativität mit historischem Wissen. „Man muss die Maschinen kennen, ihre Geschichte, ihren ursprünglichen Zweck“, erklärt der Motorradphilosoph. So mache es beispielsweise keinen Sinn, mit einer russischen IZH, die für den Einsatz in der Tundra in erster Linie robust und langlebig sei, über längere Zeit mit Höchstgeschwindigkeit zu rasen. „Dann geht sie eben kaputt“, so der Experte.Apropos Russland: Eine Tour über den im sibirischen Winter zugefrorenen Baikalsee würde Urban Schneider liebend gerne einmal machen. Alternativ träumt  er von einer Langstrecken-Reise durch Deutschland oder Schweden. Bis sich das realisieren lässt, bliebt es beim Wintertreffen in den Bergen oder dem Wochenendtripp durch die heimische westfälische Parklandschaft. Voraus fährt meist ein Freund aus Ahaus. „Der ist kann so schön langsam fahren, da komme ich erst gar nicht ins Versuchung schneller zu werden. Man will ja schließlich etwas sehen“, meint Schneider.Sehen ist die eine Sache, gesehen werden eine andere. Wo auch immer der Bocholter mit seinen Maschinen auftaucht, wird er umringt. „Man kommt mit den Menschen schnell ins Gespräch. Dann muss man erklären und erzählen“, berichtet er. Die meiste Aufmerksamkeit erzielt der 50-Jährige allerdings mit einer alten BMW R60/5 aus Polizeibeständen. Die fährt er am liebsten originalgetreu mit Wachsjacke und Jethelm und freut sich diebisch, wenn vor allem ältere Autofahrer im ersten Moment zusammenzucken, wenn sie ihn im Rückspiegel sehen oder er neben ihnen anhält. Ein Augenwinkern, dann gibt Urban Schneider vorsichtig Gas und cruist davon.Lesen Sie diesen Bericht auch im Bocholter Stadtmagazin PAN  […]

Serie 36,5 Grad: Mirjam mischt mit

Serie 36,5 Grad: Mirjam mischt mit

VON BERTHOLD BLESENKEMPER (Text und Foto)Flüchtlinge sind Menschen. Sie leiden, lachen, lieben. Und sie haben ein Gesicht. Mirjam Enghy weiß das. Seit Jahren arbeitet die 31-Jährige Walhbocholterin mit ungarischen Wurzeln in Migrationsprojekten. Eines davon wurde jüngst in Hamburg mit dem Integrationspreis des Bundesbauministeriums in der Kategorie „Nachbarschaften“ ausgezeichnet. Mirjam Enghy kennt auch die Vorbehalte gegen Menschen aus fremden Länden und Kulturen. Und die 31-Jährige hat eine einfache Erklärung dafür. „Jeder trägt ein Brille. Wenn man dann versucht, die eines anderen aufzusetzen, sieht man erst mal unscharf und anders. Das ändert sich erst nach einiger Zeit“, meint die studierte Germanistin und gelernte Trainerin für Sozialkompetenz.Dass die Welt offenbar durch weitaus größere und vor allem klarere Gläser betrachtet als die meisten anderen Menschen, liegt vermutlich an Mirjam Enghys Kindheit. Mit fünf Geschwistern als Tochter eines evangelisch-reformierten Pfarrer-Ehepaares in einem ungarischen Dorf mit 3200 Einwohnern aufzuwachsen, war nach nicht immer leicht. „Wir mussten – wie unsere Eltern auch – ständig Vorbild für andere sein“ erinnert sich die heute 31-Jährige. Aber die Zeit sei auch „sehr schön“ gewesen, ergänzt sie schnell. Denn schon früh lernte Mirjam die sozialen Komponenten des Berufes – besser gesagt der Berufung – kennen: das menschliche Miteinander, die Bedeutung von Achtung und Anerkennung, Herzlichkeit und Wärme.Dennoch entschied sich Mirjam Enghy als junge Frau, einen anderen Werdegang einzuschlagen. Mit dem Rüstzeug von vier erlernten Fremdsprachen im Gepäck, ging sie nach Deutschland und studierte in Rostock Germanistik. Dann machte sie eine Ausbildung zur Fachkauffrau für Spedition- und Logistikdienstleistungen und arbeitete als Sales Managerin in einem international tätigen Unternehmen. „Aber das war auf Dauer nichts für mich. Mit fehlte der Umgang mit den Menschen“, so die Ungarin.Mirjam ließ sich am Bremer Institut für Pädagogik und Psychologie zur Sozialkompetenztrainerin ausbilden und heuerte bei der Arbeiterwohlfahrt in Lippstadt an. Hier entwickelte sie das Projekt „Flüchtlingen ein Gesicht geben“ mit und übernahm die Leitung der Gruppe „Migranten Mischen Mit“. Erklärte Ziel war es, überwiegend junge Flüchtlinge aus der Isolation herauszuholen und sie zu ermutigen, Kontakt zu ihren deutschen Nachbarn aufzunehmen – und umgekehrt. Die Arbeit war so erfolgreich, dass sie gleich mehrfach mit Preisen ausgezeichnet wurde.Dennoch ging Mirjam Enghy weg. Sie lernte in Lippstadt ihren heutigen Verlobten kennen und zog nach einiger Zeit zu ihm nach Bocholt. Eine neue Aufgabe fand sie beim Bildungszentren des Baugewerbes (BZB) in Wesel. Hier arbeitet sie im Projekt „Perspektiven für junge Flüchtlinge im Handwerk“ mit.Ein Patentrezept für den Umgang mit Menschen aus Kriegs- oder Hungergebieten kennt auch sie nicht. Nur soviel weiß Mirjam Enghy: „Man muss die Menschen in erster Linie als Menschen betrachten. Sie kommen aus völlig anderen Kulturen mit völlig anderen Regeln. Sich hier anzupassen, dauert einfach seine Zeit“, erklärt die 31-jährige. Selbst Europäern falle es manchmal schwer, deutsche Gepflogenheiten zu verinnerlichen, weiß Mirjam Enghy aus eigener Erfahrung. Absolute Pünktlichkeit sei dafür ein gutes Beispiel.Gleichwohl verkennt die 31-Jährige nicht, dass Integration zum großen Teil auch Anpassung ist. Die Sprache spiele dabei eine ganz wichtig Rolle. Geduld sei ebenso essenziell. Und manchmal eben auch Konsequenz. Wer gegen Regeln verstoße, ohne das daraus spürbare Konsequenzen für ihn erwachsen, sei nur schwer zu Veränderung seines Verhaltens zu bewegen, meint die 31-Jährige.Apropos: Für Mirjam Enghy selbst stehen demnächst ebenfalls Veränderungen an. Im September wird geheiratet. Danach zieht sie mit ihrem Mann von Bocholt nach Werth in ein eigenes Haus. Dann heißt es wieder, Koffer packen, alte Nachbarn verlassen und neue begrüßen. Mirjam Enghy lacht und verrät das Geheimnis ihrer spürbaren Gelassenheit: „Ich habe nie das Gefühl gehabt etwas aufzugeben, sondern mich immer darauf gefreut, etwas Neues kennenzulernen.“Lesen Sie diesen Bericht auch im Bocholter Stadtmagazin PAN […]

Serie 36,5 Grad: Sören van Heek - Der "Zauberer" aus Bocholt

Serie 36,5 Grad: Sören van Heek – Der „Zauberer“ aus Bocholt

Von BERTHOLD BLESENKEMPER (Text und Foto)Fotoshoooting zu Hause bei Sören van Heek. Der 46-jähriger Bocholter stellt sich in Pose. Das schwarze Muskel-Shirt bringt die farbigen Tätowierungen auf seinen kräftigen Oberarmen leuchtend zur Geltung. Sören sieht sich das Ergebnis an. Der Monitor zeigt einen freundlich wirkenden Mann mittlerer Alters. So weit so gut. „Aber da lächle ich ja“, meint van Heek ein wenig erschreckt. Was sonst gewollt ist, entpuppt sich hier als Problem. Denn „Snoppi“, wie ihn Freunde und Fans nennen, ist nicht nur Kommunikationstechnik-Ingenieur in Festanstellung, Lucky-Strike-Raucher, Kaffee- und Whiskeytrinker, Peugeot-Fahrer, Jogger und ganz normaler Familienmensch. Sören ist seit mehr fas 30 Jahren vor allem Schlagzeuger der Heavy-Metal-Band „Wizard“ (zu deutsch: Zauberer). Und als solcher hat er  grundsätzlich grimmig in die Kamera zu blicken. Image ist eben alles!Es fällt zunächst schwer, sich den netten, offenen Menschen auf der mit Gartenmöbeln bestückten Terrasse des Mehrfamilienhauses in Bocholter Citynähe als Heavy-Metaller auf einer in Feuer und Rauch gehüllten Bühne vorzustellen. Aber genau dort steht der 46-Jährige am liebsten. „Es ist einfach nur geil, wenn hunderte oder tausende Leute deine Lieder mitsingen, begeistert sind und dir zujubeln“, berichtet van Heek. Genauso ernüchternd  ist es allerdings, wenn er nach einem solchen Wochenend-Gig in das Büro seines Arbeitgebers in Rhede zurückkehrt und „kein einziger Mensch“ klatscht. Ein Spagat zwischen Show und bürgerlicher Realität.Für Sören van Heek ist das jedoch kein Problem. Im Gegenteil. „Ich glaube, wir haben damit genau die richtige Mischung gefunden“, meint er. Musik allein könnte wohl nicht den Lebensunterhalt und den-Standard der Wizard-Mitglieder und ihrer Familien sichern. Deshalb gehen die fünf in der Woche einer ganz normalen Arbeit nach und leben ihre Traum dafür am Wochenende aus. Und das mit großem Erfolg.Bereits im Alter von 16 Jahren wechselte der ehemalige Musikschüler und klassische Trompetenspieler Sören van Heek zum Schlagzeug. Damals lebte er mit seinen Eltern und drei Geschwistern in Rhede. Er überredete seinen Nachbarn Michael Maaß dazu Gitarre zu lernen. Die beiden kamen in Kontakt mit weiteren Musikern in der Region. Dies mündete 1989 in der Vereinigung mit „Mandragore“ zur Band „Wizard“. Zwei Jahre später nahm die Gruppe das Demoband „Legion of Doom“ auf und kopierte es auf Kassetten, die sie selbst verkaufte. 1995 folgte „Son of Darkness“, diesmal schon auf CD’s gepresst, von denen 3000 weggingen. Erste Plattenfirmen wurden auf „Wizard“ aufmerksam. Und es begann die Zeit der Festivals, Live-Shows und Gigs.Wizard bereiste die Welt. Auftritte beim berühmten Wacken Open Air und Bang-Your-Head-Festival in Balingen folgten weitere Plattenaufnahmen. Die Fans kamen aus aller Herren Länder. „Einmal stand plötzlich ein Japaner in unserem Probenraum. Der war eigens nach Deutschland geflogen, um uns kennenzulernen“, schildert van Heek. Wizard wurde zur Marke in der Heavy-Metal-Szene.Inzwischen ist es ein wenig ruhiger geworden um Sänger Sven D’Anna, die Gitarristen Michael Maaß und Dano Boland, Bassist Arndt Ratering (seit 2014 für Volker Leson) und Schlagzeuger Sören van Heek. Aber die fünf Freunde machen weiter. Am 16. Juni erscheint ihr neues Album „Fallen Kings“. Den Bocholtern präsentiert sich die Band dann eine Woche später bei einer Autogrammstunde in Hannas Plattenkiste am Crispinusplatz.Ein Konzert vor heimischen Fans wäre wohl noch schöner. „Aber seitdem das Brauhaus zu ist, hast du hier in Bocholt als Band ja keine Möglichkeit mehr für einen vernünftigen Auftritt. Eigentlich ganz schön peinlich für so eine Stadt“, meint Sören van Heek. Tja, wirklich zaubern können die Zauberer aus Bocholt dann doch nicht…Mehr zu Wizard auf der Homepage und der Facebookseite der BandLesen Sie diesen Bericht auch im Bocholter Stadtmagazin PAN Photo by sinneswerk.com […]

Serie 36,5 Grad: Dirk Nienhaus und seine "Bocholter Landschweine"

Serie 36,5 Grad: Dirk Nienhaus und seine „Bocholter Landschweine“

Herzerwärmende Hofromantik kennt Dirk Nienhaus nur noch aus Kindertagen. Spätestens seitdem der heute 39-jährige Bauernsohn nach der mittleren Reife an der Israhel-van-Meckenem-Realschule seine Agrar-Ausbildung absolviert hat, weiß er, das Ackerbau und Viehzucht genau so ein Beruf ist wie jeder andere auch: Tier- und Umweltschutz, Kosten, Nachfrage, Umsatz und Gewinn dominieren den Alltag. „Die Zahlen zählen“, meint der Stenerner. Und doch hat sich Nienhaus einen kleinen Hauch landwirtschaftlicher Schwärmerei bewahrt. Er züchtet nebenbei die einzigartigen „Bocholter Landschweine“. Und bei der regionalen Vermarktung dieser selbst entwickelten Rasse nutzt der 39-Jährige intensiv die neuen Medien. Tradition trifft Moderne – hier passt dieser Slogan wie Faust aufs Auge.Das Smartphone ist sein Allzweckwerkzeug. Per Handyapp kontrolliert Dirk Nienhaus regelmäßig die Wettervorhersagen, die Temperatur in den Ställen oder den Futtermittelbestand in den Silos. Ein kurzer Druck auf den Monitor, schon wir automatisch nachbestellt und geliefert. „Landwirtschaft arbeitet heute mit den modernsten Methoden. Anders geht es nun mal nicht mehr“, so der 39-Jährige. Innerhalb des Stalls nutzt der Stenerner inzwischen immer öfter auch die Foto und Videofunktionen seines Mobiltelefons. Dann dreht er Szenen für seinen Bewegtbildblog und die Facebookseite. Mehr als eine Million Aufrufe hat Nienhaus damit bereits erzielt.„Waldi“ und „Inge“ kennen das nur zu gut. Die beiden schwarz-weißen schwäbisch-hallischen Schweine sind sozusagen die Ureltern der Bocholter Zucht. „Sie sind auch die einzigen Tiere auf dem Hof, die einen Namen haben“, erläutert Dirk Nienhaus. Waldi und Inge zeichnet große Gelassenheit aus – und das sowohl im Umgang mit ihren Artgenossen als auch auch vor der Kamera. „Die kann nichts aus der Ruhe bringen“, erklärt der Bauer.Nienhaus hat die aus Süddeutschland stammenden Tiere mit Standardschweinen gekreuzt. Das macht das Fleisch der Nachkommen dunkler, marmorierter und schmackhafter. Schon hat ein Bocholter Metzger Interesse gezeigt und möchte geschlachteten Bocholter Landschweine ab Sommer in sein Sortiment aufnehmen. Dirk Nienhaus macht das Mut. Er setzte neben der traditionellen Schweinezucht auch in Zukunft verstärkt auf Nischenprodukte. Aber nicht etwa als Hobby. „Auch das ist ein Geschäft, Nur eben ein anderes“, so der 39-Jährige.Um seine „Bocholter Landschweine“ bekannt zu machen und – neudeutsch ausgedrückt – die Markenidentität zu erhöhen, dreht Dirk Nienhaus regelmäßig Videos und stellt sie ins Netz. Dabei geht es ihm auch darum, den normalen Alttag auf einem Bauernhof zu zeigen. „Ich beschönige nichts. Wenn ein Tier lahmt, dann lahmt es eben – auch wenn sich dann wieder ganz viele Zuschauer aufregen. Aber so ist es nun mal“, erklärt der 39-jährige. Er hält nichts vom Versteckspiel mancher Berufskollegen und vom ständigen Rechtfertigungsdruck der Branche. „Landwirtschaft ist heute eine unter starkem Druck stehende Zulieferer-Branche. Und so lange die Preise für Lebensmittel so niedrig sind wie zur Zeit, wird das auch so bleiben“, erklärt der Fachmann. Entsprechend selbstsicher und offen stellt er sich Fragen oder der Diskussion mit der Politik.Dabei knöpft sich der Landwirt aus Stenern auch schon mal Regierungsmitglieder vor. Ein Beispiel dafür ist Bundesumweltministerin Barbara Hendricks. Deren jüngste, bei Landwirten höchst umstrittene Informationskampagne mit Sprüchen wie „Steht das Schwein auf einem Bein, ist der Schweinestall zu klein!“ kritisierte Nienhaus offen als staatliche finanzierte Pauschaldiffamierung und Bauernbashing mit „billigen Parolen“. „Das musste mal raus“ so der Titel seiner entsprechenden Videoblog-Episode, die mehr als ein halbe Million Mal online abgerufen wurde.Eine der jüngsten Folgen seines Videoblogs beschäftigt sich übrigens mit Karneval. Die Kernfrage lautet: Feiern Schweine die närrischen Tagen und vor allem – haben Sie anschließend eine Kater? Beim Dreh profitierte Nienhaus sichtlich von seinen Erfahrungen, die er als ehemaliger Aktiver der LaPaBo gemacht hatte. Jetzt freuen sich andererseits die Stenerner Schützen bereits auf ihren Saisonhöhepunkt und was ihr Oberst Dirk Nienhaus daraus macht. Aber vielleicht interessiert das dann auch einfach gar kein Schwein…Lesen Sie diesen Bericht auch im Bocholter Stadtmagazin PAN […]

Serie 36,5 Grad: Marcus Suttmeyer - Das Ziel fest im Blick

Serie 36,5 Grad: Marcus Suttmeyer – Das Ziel fest im Blick

Von BERTHOLD BLESENKEMPER (Text und Foto)Übersehen kann man Marcus Suttmeyer nicht. Dafür sorgt schon seine außergewöhnliche Körpergröße von 2,08 Metern. Inzwischen arbeitet der 51-Jährige zusätzlich intensiv daran, dass man ihn auch möglichst nicht übergehen kann. Denn als frisch gebackener Vorstandsvorsitzender der Bürgerstiftung Bocholt kämpft der gelernte Automobilkaufmann an vorderster Front für den Erhalt des Schützenhauses Bocholt. Und das bedeutet, Menschen motivieren, Lobbyarbeit betreiben, Geldgeber finden, Klinken putzen und Stunden über Stunden mit detaillierten Planungen zu verbringen. „Ich hätte nie gedacht, dass das so viel Arbeit sein kann“, erklärt der gebürtige Gelsenkirchener.Zum Ehrenamt engagierter Sänger des Kirchenchores St. Georg. Dort hatte der 51-Jährige unter anderem Veranstaltungen mit organisiert und erfolgreich Spenden eingesammelt. Das und noch so einiges mehr prädestinierte ihn für die Stiftungsarbeit.Ehrenamtliche Arbeit frisst viel Zeit. Aber das stört Suttmeyer nicht. Zeit hat er – wenn auch gänzlich unfreiwillig. Im Alter von 30 Jahren erkrankte der damals junge Familienvater gleich an mehreren Krebserkrankungen in Folge. Er überlebte. Seitdem  ist Suttmeyer arbeitsunfähig und Rentner. Und er hat gelernt, nicht so schnell aufzugeben.Als ehemaliger Automobilkaufmann, der über seine Cousin Ansgar, einem Ex-Torhüter des FC Olympia, von Gelsenkirchen nach Bocholt kam, hier seine Frau kennenlernte und blieb, kann Suttmeyer zudem mit Zahlen umgehen. Das ist auch dringend notwendig angesichts der Summen, mit denen die Bürgerstiftung plant. 16 Millionen Euro soll allein die Wiederherstellung des Schützenhauses und der Ausbau des Gebäudes zu einem hochmodernen Veranstaltungszentrum mit bis zu 1300 Sitzplätzen kosten. Wie aber treibt man so viel Geld auf? „Momentan ist das ein wenig wie die Geschichte von der Henne und dem Ei. Man weiß nicht, was zuerst da war“, erklärt Suttmeyer. Er hat jedoch eine klare Strategie.Ein wichtiger Meilenstein ist die rechtsgültige Anerkennung der Bürgerstiftung. Erst dann können offiziell Spenden eingesammelt werden. Diese dienen in erster Linie dazu, ein finanzielles Polster zu schaffen. Der wichtigste Baustein bei der Finanzierung sind Zuschüsse des Landes. Wie das gehen kann, zeigt das Beispiel einer Bürgerstiftung in Schwerte. Dort kaufte die Stadt 1990 die so genannte „Rohrmeisterei“. Diese wurde einer Stiftung übertragen. Und die  ließ das historische Gebäude mit Hilfe einer 60-prozentigen Förderung aus Düsseldorf zu einem Bürger- und Kulturzentrum umbauen und stellt seitdem den Betrieb sicher. Die dabei erzielten Gewinne decken größtenteils die Darlehen ab, mit denen der Rest der Modernisierung vorfinanziert wurde. „Momentan sind die Zinsen extrem niedrig. Das ist für uns eine Riesenvorteil“, verdeutlicht Marcus Suttmeyer, dass es in Bocholt ähnlich laufen könnte. Im Kleinen habe es hier sogar schon funktioniert. „Pro Barlo und der Saal Wissing-Flinzenberg sind ein gutes Beispiel dafür“, so der Vorstandsvorsitzende.Inzwischen hat die Bürgerstiftung nach anfänglichen kleinen Störfeuern auch Rückendeckung aus dem Rathaus. Bürgermeister Peter Nebelo sprach sich in seiner Neujahrsansprache 2017 klar für das Projekt aus. Die Stadt hat durchaus Interesse am Schützenhaus. Denn sie feiert im Jahr 2022 ihren 800sten Geburtstag. „Das wäre doch ein schöner Termin für eine Einweihung des neuen Schützenhauses“, meint Marcus Suttmeyer. Dann könnte auch sein Sohn Phillip mitfeiern. Der gehörte übrigens zur letzten Abiturientia, die im Schützenhaus ihren Abschluss feiern durfte.Lesen Sie diesen Bericht auch im Bocholter Stadtmagazin PAN […]

Serie 36,5 Grad: Petra Frenk trotzt dem Krebs - Augen auf und durch!

Serie 36,5 Grad: Petra Frenk trotzt dem Krebs – Augen auf und durch!

 Augen auf und durch!VON BERTHOLD BLESENKEMPERMit einem Mal war alles anders. Petra Frenk erinnert sich noch gut an den Moment, als ihr Arzt im Juli vergangenen Jahres plötzlich einen „ganz besorgten Blick“ bekam. Diagnose Krebs. Die kleine, unscheinbare Delle in der rechten Brust, die die 50-Jährige eher zufällig beim Blick in den Spiegel entdeckt hatte, war Folge eines bösartigen Tumors im Gewebe. Seitdem gehört die Krankheit zu Petra Frenks Leben. „Aber ich will nicht, dass sie mein Leben dominiert“, meint sie fast schon ein wenig trotzig. Entsprechend offensiv geht die berufstätige Ehefrau und Mutter von zwei Kindern weiter durchs Leben. Augen auf und durch!Dabei steckt die Angestellte eines Bocholter Immobilienunternehmens immer noch mitten in der Behandlung. Mehrere Chemo-Therapien und Bestrahlungen warten nach der Tumorentfernung auf Petra Frenk. Die Einnahme der teilweise aggressiven Medikamente haben Spuren hinterlassen. Ihre Haare, Augenwimpern und -brauen sind ausgefallen. Die Haut ist im doppelten Sinne des Wortes dünner geworden. Und manchmal schreit der Körper einfach nur nach Ruhe. Dann hört die Bocholterin in sich hinein und gönnt sich eine Pause.Wer Petra Frank kennt, weiß, wie schwer ihr das fällt. Die 50-jährige war immer „taff“ – stets sportlich, dauernd beschäftigt, unermüdlich agil. „Doch plötzlich wird dir unmissverständlich klar, dass das Leben endlich ist“, erklärt die 50-jährige. Der Krebs hat sie verändert. Sie wirkt ruhiger und gleichzeitig rastloser. „Du willst Dinge nicht mehr auf die lange Bank schieben, wenn du nicht weißt, ob du sie überhaupt noch erlebst“, erklärt Petra Frenk. Und so steckt sie mitten im Dilemma zwischen gewünschter Entschleunigung und womöglich knapper werdender Zeit.Die Bocholterin hat viel mit ihrem Mann und ihrer Familie darüber gesprochen. Gleichzeit suchte sie Kontakt zu Leidensgenossinnen und meldete sich in zwei geschlossenen Facebookgruppen an. Dort erlebte Selbsthilfe online und live. Das gab ihr den Mut, in den sozialen Netzwerken Fotos zu posten und über ihre Therapie zu berichten. „Ich will Mut machen“, meint die 50-Jährige. Damit schreckt sie so manchen auf oder sogar ab. Von anderen erntet sie umso mehr Aufmunterung.„Jeder muss das machen, was ihm gut tut. Die einen ziehen sich nach der Diagnose zurück, die anderen gehen nach vorne“, erklärt Petra Frenk. Sie persönlich gehört klar zur letzteren Gruppe. Aus diesem Grund setze sich die Bocholterin mutig mit Glatze ins Fotostudio von Carolin Nimtz von der Agentur Kopfkino und ließ sich porträtieren. Heraus kamen Bilder voller Leben. Sie helfen Petra Frenk gegen die Frucht, die Krankheit könnte sie irgendwann hilflos machen. „Das war und ist meine größte Angst“, berichtet sie und wird nachdenklich. Das sind die Momente, in denen der Krebs sich wieder in den Kopf schleicht ihn scheinbar bleiern werden lässt. Petra Frenk nimmt ihn langsam wieder hoch und lächelt.Look good feel betterLook good feel better, zu deutsch: sehe gut aus und fühle dich besser, heißt ein Programm der DKMS (ehemals Deutsche Knochenmarkspenderdatei), die Kosmetikseminare für Krebspatientinnen finanziert. Die Teilnehmerinnen erhalten nicht nur zwei Stunden lang Tipps von Profis, sondern außerdem kostenlos eine Tasche mit hochwertigen Pflegeprodukten.Eine, die solche Kurse ehrenamtlich gibt, ist die Bocholterin Regina Meißner von der Firma rm-kosmetik. Als ehemals Betroffene weiß sie aus eigener Erfahrung gut, was die Kranken benötigen. „Das ist neben der Hilfe vor allem Zuspruch“, so Meißner. Denn erklärtes Ziel der Initiatoren ist es, zu mehr Lebensmut zu ermuntern und neue Lebensqualität aufzubauen.Auch Petra Frank hat an einem solchen Seminar teilgenommen. „Die Haut verändert sich durch die Medikamente“ berichtet sie. Entsprechend wichtig sei eine veränderte Pflege und Kosmetik. Es wird unter anderem gezeigt, wie Hautflecken oder Wimpernverlust kaschiert werden können. Die Frauen schminken sich selbst, damit ihnen das auch im Anschluss an das Seminar ohne Schwierigkeiten gelingt. Ein weiterer Programmpunkt ist eine Tücher- und Kopfschmuckberatung. Lesen Sie diesen Bericht auch im Bocholter Stadtmagazin PAN […]

Serie 36,5 Grad: Camilla Daum - Musik ist Leidenschaft

Serie 36,5 Grad: Camilla Daum – Musik ist Leidenschaft

 Von BERTHOLD BLESENKEMPER (Text) und KIRSTEN ENK (Fotos)Es ist ruhig geworden um sie. Camilla Daum stört das nicht. „Musik ist mein Hobby, meine Leidenschaft. Aber eine Karriere als Sängerin stand nie zur Debatte“, versichert die 21-jährige, einstige Voice-of- Germany-Kandidatin aus Bocholt. Umso mehr genießt sie es heute, wieder mal im Rampenlicht zu stehen. So wie Ende Oktober diesen Jahres bei der Verleihung des Deutschen Filmmusikpreises 2016 in Halle (Saale). Komponist Timo Pierre Rositzki hatte den Preis in der Kategorie Bester Song im Film für den Titelsong „Alive“ aus der deutschsprachigen Verfilmung des Jugendromans „Boy 7“ erhalten. Und Interpretin Camilla Daum durfte daraufhin live singen.Camilla Daum hat sich verändert. Nicht nur äußerlich. Die langen Haare sind ab. Und es scheint, als ob die junge Frau darunter genauso entschlossen ihre Prioritäten modifiziert hat. Die 21-jährige wirkt abgeklärt. „Für mich stand immer fest, dass ich etwas Ordentliches lerne“ meint die Textilmanagement-Studentin. Deshalb schrieb sie sich nach dem Abitur am Berufskolleg Wasserturm an der Universität im niederländischen Enschede ein. Zurzeit absolviert Camilla zudem zwei Praxissemester in Düsseldorf.Und was ist aus dem Traum einer Weltkarriere geworden? „Den gab es eigentlich nicht. Bei Voice of Germany habe ich ursprünglich nur mitgemacht, weil ich nach dem Abitur Zeit hatte und mal sehen wollte, wie weit ich komme“, berichtet die Bocholterin.  Bis zu Runde drei, den so genannten Knockouts, reichte es 2014 als Kandidatin von Rea Garvey. Und Camilla Daum erinnert sich gerne daran. Sie ist dankbar für und stolz auf die Erfahrungen, die sie bei den Profis gesammelt hat. Noch heute hat sie einige Kontakte zu anderen Kandidaten. „Wir haben damals so viel und lange zusammengehockt, da bleibt einfach etwas“, meint sie.Ebenso treu ist die 21-jährige dem Bocholter Musicalprojekt „Showfactory“ geblieben. Angefangen hatte alles noch viel früher bei den Musicals der Musikschule unter der Leitung von Jule Wanders. Camilla Daum war damals 6 Jahre und sang für ihr Leben gern. „Nicht gut, aber viel“, schmunzelt sie heute darüber. Ihre Eltern förderten sie. Sie spendierten dem kleinen Talent einmal wöchentlich Gesangsunterricht. „Und sie haben mich immer unterstützt und waren bei jeder Aufführung dabei“, schildert die Bocholterin.Das zahlte sich aus. Camilla Daum zehrt noch heute davon. Im Scheinwerferlicht zu stehen, hat sie selbstbewusst gemacht. „Ich habe keine Angst vor der Bühne“, berichtet die 21-Jährige. Nur das Lampenfieber bleibt. „Aber das muss sein“, meint Camilla. Die Erlebnisse helfen ihr nun im Studium weiter. Camilla Daum ist weltoffen und hat keine Scheu auf Menschen zuzugehen. Vielleicht liegt es aber auch an den brasilianischen Genen, die sie von ihrer Mutter geerbt hat.Derweil müssen ihre Fans warten. Mehr als 9000 davon folgen der Bocholterin auf Facebook. Viel zu sehen und hören bekommen sie in letzter Zeit nicht. „Mir fehlt einfach die Zeit“, erklärt die 21-Jährige. Auch ein Indiz für Veränderung.Lesen Sie diesen Bericht auch im Bocholter Stadtmagazin PAN […]

Serie 36,5 Grad: In der Weihnachtsbrauerei...

Serie 36,5 Grad: In der Weihnachtsbrauerei…

 VON BERTHOLD BLESENKEMPER (Text und Fotos)Langsam aber stetig läuft die gelb-braune, leicht trübe Flüssigkeit aus dem unscheinbaren weißen Plastikfass in die Glasflasche. Harald Dieckhues (47) achtet exakt auf die Füllgrenze. Ist diese erreicht, verschließt er schnell den Hahn und klappt den Bügelverschluss über den Flaschenhals. Geschafft. Wieder ist ein ein Liter „Dat Bokeltse“ fertig. „Jetzt muss es noch drei bis vier Wochen in der Flasche gären, dann ist es perfekt“, ergänzt sein Freund Ralf Eiting (45). Die beiden haben in den vergangenen Tagen knapp 200 Liter Bier gebraut. Das soll für den Winter reichen.Erst im Frühjahr geht’s erneut an die Bottiche. Dann ist auch der diesmal verhinderte Dirk Bungert wieder mit dabei. Das Trio produziert seit 2014 für den Eigenbedarf Pils, Alt, Weizen, Ale, Helles, Bock, Schwarzbier und was sonst gerade lecker und gefragt ist. „Cerdo Asado“ nennen sich die drei, was spanisch ist und übersetzt „Schweinebraten“ bedeutet. Ein ungewöhnlicher Name für eine Hobby-Brauerei. „Stimmt“, erklärt Ralf Eiting und ergänzt, „ursprünglich waren wir ja auch ein Kochclub und wollten ein Bad Bentheimer Schwein mästen. Aber die behördlichen Auflagen waren so groß, dass wir darauf verzichtet haben.“ Aus Neugierde bestellten die drei daraufhin ein Bierbrauer-Set im Internet und produzierten ein paar Liter Gerstensaft. Seitdem ist Schweinebraten nur noch Beilage.Damit sich die Sache auch lohnt und stets gleichbleibende Qualität produziert werden kann, haben die Bocholter in Technik und Ausrüstung investiert. Gaskocher und Bottiche, Rührlöffel und Pumpen, eine Läuterhexe und hochempfindliche elektronische Thermometer wurden angeschafft. „Wenn schon, denn schon“, meint Harald Dieckhues. Und so verwandelt sich die Terrasse seines Hauses regelmäßig in eine Brauerei. Dann wird viel, viel Wasser erhitzt und mit jeder Menge Malz vermischt, gerührt und nach einer exakt bestimmten Zeit ruhen gelassen. Anschließend muss wieder erhitzt, Hopfen zugemischt und für 90 Minuten „wallend“ gekocht werden. Schließlich wird abgekühlt, gesiebt und der Feststoff vom Sud getrennt. Erst dann kann das jetzt noch wegen des hohem Zuckergehaltes süße Bier in die Gärbottiche umgefüllt werden. Ein paar Liter behalten die Hobby-Brauer zurück. Diese sogenannte „Speise“ wird später noch gebraucht.„Acht Stunden sind wir damit beschäftigt“, erklärt Dieckhues. Die restliche Arbeit erledigt die Hefe. Sie wandelt im Laufe der Zeit den Zucker in Alkohol um. Kurz bevor das junge Bier in die Flaschen kommt, kippt das Trio die zuvor zurückgehaltene „Speise“ zurück zum Rest. „Der dadurch erneut zugesetzte Zucker wird dann in der geschlossenen Flasche hauptsächlich zu Kohlensäure vergoren. So entsteht später der Schaum des Bieres“, erläutert Ralf Eiting.Soweit die Theorie. In der Praxis kann schnell mal was danebengehen, „Einmal haben wir zu viel Speise zugegeben. Da hat es beim Öffnen der Flaschen einen lauten Knall gegeben und das Bier ist bis unter die Wohnzimmerdecke gespritzt“, erzählt Eiting lachend. Ein anderes Mal hatten die drei zu viel Hopfen genommen und der Gerstensaft schmeckte extrem bitter. Fast hätte es beim Brauen auch schon gebrannt, weil der Wind eine Pappe in der Flammen des Kochers drückte. Ein Grund mehr für die drei Bocholter, bei der der Produktion von Alkohol auf eines strikt zu verzichten: auf Alkohol. Alles wird exakt dokumentiert. Das verlangt schon der deutsche Zoll.Wochen später, wenn das Bier reif ist und zum ersten Mal probiert werden kann, folgt der spannende Abschluss des langen Prozesses. Ploppt es beim Öffnen des Bügelverschlusses? Wie ist die Farbe, wie der Geschmack, wie die Konsistenz des Schaumes? Ralf Eiting und Harald Dieckhues sind zufrieden. „Süffig“, so ihr einstimmiges Urteil über „Dat Bokeltse“. Damit ist klar: Der Winter kann kommen! […]

Serie 36,5 Grad: Jörg Hintenberger - Auf Turnschuhen durch die Galaxis

Serie 36,5 Grad: Jörg Hintenberger – Auf Turnschuhen durch die Galaxis

VON BERTHOLD BLESENKEMPER (Text und Fotos)Manchmal geht einfach der Mathematiklehrer mit ihm durch. Weil Jörg Hintenberger den landläufig bekannten Begriff „Mikro“ als Beschreibung des Verhältnisses eines Planeten zum Universum eindeutig als zu groß empfand, nannte er seinen Roman „Yoktokosmos Erde“. Das Quadrillionstel Yokto – rechnerisch exakt (10−3)8 – beschreibe die Sache einfach besser, meint er, auch wenn das wissenschaftlich nicht korrekt ist. Womit wir auch schon beim Thema wären. Richtig ernst nehmen sollte man das Erstlingswerk des 45-jährigen Bocholters nicht. Gerade das aber macht die Science-Fiction-Satire für Fans des Genres durchaus lesenswert.Jörg Hintenberger macht keinen Hehl daraus, wer oder – besser gesagt – was ihn inspiriert hat. Als Kind der 70er und 80er Jahre hat der Pädagoge des Euregio-Gymnasiums das Buch „Per Anhalter durch die Galaxis“ von Douglas Adams förmlich verschlungen. Aus dessen Grundideen und aus eigenen philosophischen Gedanken zum menschlichen Dasein entwickelte „Hinti“, wie ihn seine Freunde nennen, die skurrile Geschichte des Erdlings Digger Brind. Der wird von einem gewissen Rubart Knox eher unfreiwillig von seinem Heimatplaneten evakuiert und gewinnt auf seiner unglaublichen Reise durch Raum und Zeit seltsame Freunde. Einer davon ist „Pott“, eine in eine Kaffeedose migrierte Künstliche Intelligenz. Klingt verrückt, ist es auch.Hintergrundwissen über den Autor ist beim Lesen der Weltallkomödie nicht zwingend notwendig, hilft aber beim Verständnis einiger Weisheiten. So stammt die Erkenntnis, dass verschiedene Bioformen eine Gemeinsamkeit hätten, nämlich es nicht leiden zu können, wenn Bier mit so etwas ähnlichem wie Limonade gepanscht werde, eindeutig aus Hintenbergers Zeit als Kellner im Bocholter Kultlokal Studio B. Wesentlich diffiziler ist da schon seine Theorie einer Zeitreise. Man brauche jede Menge Geschwindigkeit, meint der Hobby-Schriftsteller, mehr aber noch „die enorme innerere Gelassenheit“, den Raum verstreichen zu lassen. Bei der Idee, planetenübergreife Teleportation durch spezielle Turnschuhe zu ermöglichen und diese Art der Fortbewegung profan „Hoppeln“ zu nennen, hat sich der 45-Jährige allerdings eindeutig vergaloppiert.Mehr als 20 Jahre hat Jörg Hintenberger am „Yoktokosmos“ gearbeitet. Viele Urlaube, unzählige Gespräche mit Freunden und seiner Frau Erika sowie einige Flaschen Rotwein neigten sich dem Ende zu, ehe das 240-seitige Werk in Ermangelung eines interessierten Buchverlages in Eigenregie 500mal gedruckt wurde. Herausgekommen ist ein Erstling, dem man anmerkt, dass ihm ein professioneller Lektor fehlte. So entwickelten sich Längen und schwach ausgeprägte Spannungsbögen. Jörg Hintenberger macht diese jedoch mit viel Phantasie und spürbarem Schreibtalent wieder wett.Inzwischen traut sich der Bocholter an eine Fortsetzung. Denn für gute Geschichten gibt es zumindest laut (Zitat) Expose zur Vorlesung „Philosophie für Erstsemester“ des Studiengangs „Planetarische Verwaltung“ an der gregorianischen Universität für angewandte Ordnung und Sauberkeit noch ausreichend Platz „im luftleeren Raum“.Übrigens: Das von Martin Pritzel illustrierte Taschenbuch gibt es zum Preis von 9.90 Euro unter http://www.yoktokosmos-erde.de oder bei der Mayerschen – untenhintenrechts!Lesen Sie diesen Bericht auch im Bocholter Stadtmagazin PAN   […]

Serie 36,5 Grad: Ronald Boterkooper van den Born - Sein Jahr!

Serie 36,5 Grad: Ronald Boterkooper van den Born – Sein Jahr!

 Von BERTHOLD BLESENKEMPER (Text und Fotos)„Das ist einfach mein Jahr“, ist sich Ronald Boterkooper van den Born sicher. Im Februar bekam er Traumhund Babs, eine junge, braune Labrador-Dame. Drei Monate später folgte die Hochzeit mit Lebenspartner Rudolf van den Born. Den Vogel aber schoss der 55-jährige Niederländer im August ab – und das im wahrsten Sinne des Wortes. Ronald Boterkooper van den Born wurde König der Bocholter St.-Georgius-Schützen. „Unglaublich“, meint der leidenschaftliche Gastronom. Ein homosexueller, niederländisch-reformierter Ausländer als Regent eines alten Traditionsvereins im konservativen Westfalen? „Kein Problem“, versichert Ronald Boterkooper van den Born. Bis heute habe er nicht einen einzigen dummen Kommentar gehört. Im Gegenteil: „Alle haben gesehen, wie sehr ich mich gefreut habe, und das hat wahrscheinlich angesteckt“, so der Inhaber des Bocholter Museumsrestaurants Schiffchen. Vielleicht lag es auch einfach nur daran, dass der neue König die Bräuche des Vereins achtete und ohne viel Tamtam mit einem gemischten Thron ins Lager einzog. Schwul zu sein sei ihm ja schließlich nicht auf die Stirn tätowiert. Deshalb mache er am liebsten auch keinerlei Aufhebens darum. „Für mich ist das ganz normal“, erklärt Ronald. Und damit basta!Ronald Boterkooper van den Born weiß was er will. Das war schon so, als der Sohn und Enkel eines Bäckers aus dem kleinen niederländischen 300-Seelen-Ort Nijeholtpade bei Heerenveen eine Ausbildung zum Koch begann. Zielstrebig entwickelte er sich weiter. Irgendwann verschlug es ihn irgendwie irgendwo nach Bocholt. Hier lernte er Ludger (Lupo) Möllmann kennen und später auch lieben. Ronald blieb und arbeitete zunächst als Koch unter Fritz Biergans im Schützenhaus. „Viele Vereinsmitglieder kenne ich noch von damals. Aber da waren sie noch kleine Jungs“, erinnert sich der 55-Jährige. Später wechselte er als Food-Stylist zu einem Fotografen und kochte das, was mancher Sternekoch später in einem Fotoband präsentierte.Doch die Gastronomie ließ ihn nicht los. Ronald Boterkooper van den Born ergriff die Chance, als das Museumsrestaurants Schiffchen neu zur Verpachtung anstand. Gemeinsam mit Ludger Möllmann brachte er das Haus nach vorne. Bis zum 23. August 2011. An diesem Tag starb „Lupo“nach kurzer, schwerer Krankheit. Für Ronald brach eine Welt zusammen. Urplötzlich war er allein und damit auch allein verantwortlich. Der leidenschaftliche Koch, der sich bis dato lieber an den Herd zurückgezogen und seine Kreativität ausgelebt hatte, musste sich von einem Tag auf den anderen um die Gäste kümmern, Akquise betreiben, Reden halten und Netzwerke pflegen. Was ihm anfangs schwer fiel, machte Ronald Boterkooper van den Born mit der Zeit immer selbstbewusster. Voll eingespannt zu sein, half ihm außerdem über die Trauer hinweg.Vor drei Jahren dann trat er in den St.-Georgius-Schützenverein ein. Spätestens hier legte er die letzte Scheu ab. „Ich werde König“, meinte er in diesem Jahr, als gäbe es daran keinen Zweifel. Und es klappte. „Als der Vogel runterfiel, habe mich erst ein wenig erschreckt. Und dann ging alles ganz schnell“, erinnert sich der 55-Jährige.Und doch gab es einen Moment, in dem König Ronald erst ungläubig und dann ehrfurchtsvoll innehielt. Das war der Augenblick, als sich nach dem Vogelschießen ein prächtiger Regenbogen über das Schützenhaus spannte. „Da wusste ich, dass mir da oben im Himmel jemand zuschaut und Glück wünscht“, beschreibt der Niederländer.Und noch ein Ereignis bleibt ihm nachhaltig in Erinnerung. Das war die Sekunde, in der die Antonius-Kapelle zu Ehren des neuen Königs die niederländische Nationalhymne intonierte. Wieder war Ronald zu Tränen berührt. Aber nicht lange. „Gleich danach haben die nämlich die deutsche Nationalhymne gespielt, und da haben wir alle lauthals mitgesungen“, schildert der 55-jährige.Fast scheint es, als seien König Ronald diese kurzen, gefühlsbetonten Momente peinlich. Schnell erzählt er weiter, so als wolle er ablenken, ein anderes Thema anschneiden. Und doch sind es gerade diese wenigen hochemotionalen Sekunden, die seine Regentschaft bei vielen unvergessen machen.Lesen Sie diesen Bericht auch im Bocholter Stadtmagazin PAN  […]

Serie 36,5 Grad: Die andere Seite der Medaillen

Serie 36,5 Grad: Die andere Seite der Medaillen

Von BERTHOLD BLESENKEMPER (Text) und KISTEN ENK (Fotos)Dafür, dass er den Rheder Kirchturm eigentlich nie so recht verlassen wollte, ist Willi Gernemann wahrlich weit herumgekommen in der Welt. Simbabwe, Bolivien, Namibia, Chile, Mauritius, Sri Lanka – auf fast allen Kontinenten war der 61-jährige zu Hause. Jetzt geht’s zurück nach Südamerika. Und zwar nach Brasilien, genauer nach Rio de Janeiro. Dort betreut Willi Gernemann als Leichtathletik-Bundestrainer des Deutschen Behindertensportverbandes vom 7. bis 18. September die Paralympics-Teilnehmer bei ihrer Jagd nach Gold, Silber oder Bronze. Aber, so betont der Chefcoach gleich zu Beginn, Medaillen seien nicht so wichtig. „Unser Ziel sind persönliche Bestleistungen. Das ist eine Größe, die wir beeinflussen können. Alles andere hängt gerade im Behindertensport von vielen andern Faktoren ab.“Willi Gernemann ist nicht nur Trainer, sondern als hautamtlicher Angestellter des Verbandes auch so eine Art Mädchen für alles. Er kümmert sich um Trainingspläne, Unterkünfte, Zimmerbelegungen, Transporte zu den Wettkampfstätten, um Wehwehchen, rechtzeitig Anmeldungen  und, und, und. Paralympics bedeuten für ihn drei Wochen Dauerstress. Schon vor dem Start verbrachte er Tage und Wochen mit den Vorbereitungen. Stundenlang saß er vor dem Fernseher und beobachtete die Olympischen Spiele mit besonders wachsamen Augen. Telefonate, Chats und Nachrichten von und mit Aktiven und Funktionären halfen ihm. „Da hat es sich natürlich bezahlt gemacht, dass ich durch meine bisherige Arbeit in vielen Ländern ein großes Netzwerk besitze“,  erklärt der 61-jährige.Profitieren sollen davon in erster Linie seine Schützlinge. Allen voran Weitspringer Markus Rehm. Der Para-Weltrekordler ist als Olympiasieger im Weitsprung der Beinamputierten so gut wie gesetzt. Der 27-jährige gebürtige  Göppinger landete vor knapp einem Jahr bei 8,40 Metern.  Bei den deutschen Meisterschaften der Nicht-Behinderten ließ er die gesamte Konkurrenz hinter sich.  Seitdem hält sich in der Sportwelt der Streit darüber, ob die Hochleistungsprothese des Athleten eher ein technischer Vorteil denn ein Handicap ist.  Eine unwürdige Diskussion, wie Willi Gernemann findet.  „Behinderte haben nicht nur ein körperliches Handicap. Sie verlieren, weil für sie alles im Leben viel aufwändiger ist, soviel Zeit, dass Ihr Tag manchmal nur 18 Stunden hat“, erklärt der Bundestrainer. Umso höher sei die Leistung seiner Schützlinge einzuschätzen, ergänzt er.Willi Gernemann kann das beurteilen. Jahrelang hat er auch nicht behinderte Top-Athleten trainiert. Der bekannteste war der namibische Sprintstar Frankie Fredericks. Zu dem mehrfachen Vizeweltmeister und Silbermedaillen-Gewinner hat der Rheder noch heute einen guten Draht. Begonnen hatte die Karriere des heute 61-jährigen allerdings mit seiner heutigen Ehefrau Cilly Lemkamp. Der ehemaligen deutschen Weitsprung Jugendmeisterin des LAZ Rhede half der damalige Freund aus einem Formtief. Und Willi Gernemann fand dabei nicht nur die Liebe des Lebens, sondern auch seine Berufung.Er hängt seinen erlernten Job  als Schlosser bei Flender an den Nagel und konzentrierte sich fortan auf den Sport. „Jeden Tag die Stechuhr zu knutschen, war ohnehin nicht mein Ding“, meint er rückblickend. Willi Gernemann drückte noch einmal die Schulbank und machte sein Abitur nach sowie einen Trainerschein nach dem anderen. An der Sporthochschule in Köln sicherte er sich höchste Qualifikationen. Ungewöhnlich für jemanden, der zwar immer sportlich, aber weder in der Leichtathletik noch im Fußball, Basketball oder Tennis „so wirklich richtig gut“ war.Umso besser konnte Willi Gernemann anderen die Grundlagen und Methodiken vermitteln. Das führte ihn so manches Mal an ganz ungewöhnliche Orte. In Winterberg beispielsweise brachte er  deutschen Bobfahrern das schnelle Anschieben ihre Schlitten bei. In den Anden bildete er Trainer und Kampfrichter aus. Ähnliche Projekte führten ihn mehrfach nach Afrika.Sein Job hat den gebürtigen Münsterländer zum Weltbürger gemacht. Er ist offener, liberaler, gelassener, aber auch kämpferischer geworden. Soziale Ungerechtigkeit und  die Armut in der Welt machen ihn wütend. Gleiches gilt für Ignoranz oder mangelnde Professionalität. Begegnen sie ihm, nimmt der Rheder kein Blatt vor dem Mund und spricht Klartext.Nur gut, dass Willi Gernemann die Härten seiner Gradlinigkeit mit trockenem Humor abschwächen kann. Der 61-jährige lacht gerne und viel. Und er hat immer einen Spruch auf den Lippen. So auch als wir uns verabschieden, ihm und seinen Sportlern viel Erfolg wünschen und uns für das Gespräch bedanken. Willis Antwort: „Aber immer gerne, Mann!“Lesen Sie diesen Bericht auch im Bocholter Stadtmagazin PAN […]

Serie 36,5 Grad: Harm Klomps - der Herr der Rillen

Serie 36,5 Grad: Harm Klomps – der Herr der Rillen

 Von BERTHOLD BLESENKEMPER (Text) und KIRSTEN ENK (Fotos)Musik ist seine Leidenschaft – egal ob in gepresster, elektromagnetisch aufgezeichneter oder optisch wie auch digital gespeicherter Form. Für Harm Klomps ist allein entscheidend, was hinten rauskommt. Blues, Metal, Punk, Techno oder Indie, der 64-jährige Niederländer hört und kennt schlichtweg alles. Wie ein analoges Wikepedia der Rock- und Popgeschichte steht er lässig hinter dem Tresen seines Fachgeschäftes „Hanna Music“ am Crispinusplatz in Bocholt. Kunden kommen herein, summen ihm eine Melodie vor, und schon zieht Harm Klomps den richtigen Tonträger aus mehr als 6000 Schallplatten sowie mindestens ebenso vielen Compact-Disks. Dabei war Harm Klomps jahrelang weg vom Fenster. Schuld war die Erfindung des digitalen MP3-Formats und der damit verbundene Niedergang des analogen Musikgeschäftes sowie parallel seine schwere persönliche Krebserkrankung. Umso schöner, dass die die längst totgesagte LP und der gebürtige Dinxperloer gemeinsam ihre Renaissance erlebten.Harm war und ist in Bocholt und Rhede eine Instanz – und das seit Jahrzehnten. Bereits im Alter von 16 Jahren legte er am Heelweg im benachbarten Dinxperlo Platten auf. Seine Eltern besaßen dort einen Laden mit angeschlossenem Lunch-Raum. Letzterer lief nicht so gut. Harm ergriff die Gelegenheit und baute die Essecke zu einer Diskothek namens „Swinx“ um. Die Jugend aus Bocholt war Feuer und Flamme. Zum einen, weil die Niederländer meist viel früher an guter amerikanische Musik kamen, mehr aber noch, weil es auf der gegenüberliegende Straßenseite der berühmten Grenzstraße deutlich lockerer zuging. „Über alles kann ich nicht reden“, erklärt Harm heute schmunzelnd.Klomps wurde in der Folge zum Militär einberufen und legte nebenbei in Terborg Platten auf. Hier entdeckte ihn ein Freund von Josef („Jupp“) Hungerkamp, der kurz davor stand, in Rhede ein Lokal zu eröffnen. Nur wenige Stunden nach seiner Entlassung beim niederländischen Heer stand Harm dort hinter der Theke und heizte den Gästen ein. Und genau an diesem ersten Abend lernte er auch seine spätere Frau Georgia Fillies kennen.1976 der Wechsel in den Einzelhandel. Harm Klomps eröffnet in der Nordstraße in Bocholt die lediglich 16 Quadratmeter „Hannas Plattenkiste“. Die platzte innerhalb kürzester Zeit aus allen Nähten. In seiner Not erweiterte der Niederländer den Verkaufsraum mit Hilfe einer Wendeltreppe in eine über dem Geschäft gelegene Wohnung. Mit Erfindung der Compact-Disc reichte der Raum erneut nicht merh aus und aus „Hannas Plattenkiste“ wurde „Hannas Music“ am Crispinusplatz und später an der Crispinusstraße. Übrigens: Den Spitznamen „Hanna“ hatte dem Niederländer eine Freundin wegen dessen ausgeprägter Lockenmähne verpasst.Von 1981 bis 1997 führten Harm Klomps und seine Frau Georgia dann „nebenbei“ die legendäre Kult- und Jugendkneipe „DochDu“ an der Schanze. Ende der 90er Jahre schließlich der Schock. Die Erfindung des MP3-Formats ermöglichte das Downloaden und unendliche Verfielfältigen von Musik. Gleichzeitig etablierte sich in den neuen Shopping-Arkaden die gewaltige Konkurrenz der Elektronikketten. „Da war für uns nichts mehr zu machen“, blickt Harm Klomps zurück. Der heute 64-jährige machte den Laden zu, um mit seiner Frau an der Eisenhütte eine Musik- und Kulturkneipe zu etablieren.Genau in dieser Zeit traf Harm sein ganz persönlicher Schicksalsschlag. Klomps erkrankte an Leukämie. Nur dank zweier Stammzellenspenden seines Bruders erholte er sich. Der heute 64-Jährige jobbte mal hier und dort. Aber der Krebs ließ ihn nie ganz los. Dennoch kam es zu einer nicht für möglich gehaltenen Renaissance. Die Schallplatte kehrte zurück. Und mit ihr Harm Klomps. „In Vinyl können einfach mehr Informationen gespeichert werden. Es werden höhere Frequenzen erreicht. Daher klingt die Musik einfach besser. Und viele Menschen sind das ewige digitale Zappen leid“, erklärt der Experte den plötzliche Run auf die schwarzen Scheiben.Parallel entstand im Internet ein ganz neuer, großer Sammlermarkt. Harm Klomps erkannte die Chance, eröffnete „Hanna Music“ am Crispinusplatz real und virtuell als Onlineshop unter www.hannamusic.de im weltweiten Netz. Seitdem kauft er alte Platten an, reinigt sie mit Hilfe einer 2000 Euro teuren Spezialwaschmaschine und verkauft sie wieder. Einige gehen an Bocholter, andere an Kunden in Vietnam, Russland oder die USA, die per Internet bestellen. Neben gebrauchten sind auch neue Tonträger im Angebot. Längst haben die Plattenfirmen nämlich den Trend erkannt und legen uralte Schätzchen von den Beatles oder Beach Boys in limitierter Venyl-Auflage wieder neu auf. Wer hätte das gedacht?Wer nun glaubt, Harm Klomps versilbere bei „Hanna Music“ seine zigtausend Platten umfassende Privatsammlung, der irrt. Seinen Schatz gibt der Herr der Rillen niemals her. Der ist für seinen Enkel Ramses reserviert.Lesen Sie diesen Bericht auch im Bocholter Stadtmagazin PAN  […]