Bischof Genn feiert Gottesdienst im leeren Dom



Von ANN-CHRISTIN LADERMANN

Bischof GennSt.-Paulus-DomStadtdekanat Münster 872, 1 +2 + 6. Lautlos erscheinen Nummer und Strophen des ersten Liedes auf den vorderen Säulen im münsterischen St.-Paulus-Dom. Ist die scheinbar aus dem Nichts kommende Projektion der Ziffern sonst der Start für die Gläubigen, zum Gesangbuch zu greifen und meist geräuschvoll die dünnen Seiten umzublättern, bleibt es gespenstisch still. Nichts ist zu hören – bis die Sakristeiglocke die Stille in der Bistumskathedrale durchbricht. 8 Uhr. Keine Gläubigen, die sich hörbar erheben, keine Jacken, die rascheln, kein Räuspern, Husten, Niesen.

Just in dem Moment, als Domorganist Thomas Schmitz die ersten Tasten drückt und vertraute Orgelklänge den Kirchenraum füllen, tritt Münsters Bischof Dr. Felix Genn durch das Portal am Stephanuschor. Allein schreitet er in den Chorraum zum Altar, verneigt sich und nimmt seinen gewohnten Platz am Priestersitz ein. Gähnende Leere im hinteren Teil des Chorraums, wo sonst das Domkapitel dem Bischof den Rücken stärkt. „Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes, Amen.“ Seine Eröffnung am 19. März, dem Gedenktag des Heiligen Josefs, hält er vor leeren Kirchenbänken.

Zum ersten Mal in seiner Zeit als Bischof feiert Genn die Eucharistie im menschenleeren Dom. „Da muss man sich erst einmal dran gewöhnen“, gibt der Bischof zu. Gottesdienste ohne Gläubige sind in diesen Tagen, in denen das Corona-Virus umgeht, eine Vorsichtsmaßnahme. Zu viele Menschen, zu dicht aufeinander – das soll zur Eindämmung des gefährlichen Virus in den kommenden Wochen unbedingt vermieden werden. Jeden Tag feiert Bischof Genn so wie jeder Priester die Messe. Doch selbst in seiner privaten Hauskapelle ist er fast nie alleine. „Irgendjemand ist immer dabei, ob die Ordensschwestern, die mit mir zusammen im Haus leben, der Kaplan oder Gäste“, sagt Genn.

Doch auch wenn im St.-Paulus-Dom fast niemand physisch anwesend ist: Bischof Genn weiß, dass er nicht allein ist. „Die moderne Technik macht es möglich“, ist er dafür dankbar. Seit Montag wird täglich der 8-Uhr-Gottesdienst aus dem Dom im Internet und auf den Social-Media-Kanälen des Bistums übertragen. „Ich spreche nicht in den leeren Kirchenraum hinein, ich bete und singe in Gedanken mit den Gläubigen Zuhause“, betont er. Denn gemeinsam und füreinander beten, gerade in schwierigen Tagen, sei seit frühesten Zeiten ein Grundvollzug des christlichen Glaubens.

Den nötigen Sicherheitsabstand zum Bischof in Zeiten von Corona wahren Johannes Grohs und Jakob Kuhn. Rund 40 Treppen und etliche Meter Flur trennen den Abiturienten und den Studenten aus Münster vom Geschehen im Dom. Hoch über der Sakristei, in einem kleinen Raum, sitzen sie vor vier Monitoren, zwei Mischpulten und diversen anderen technischen Geräten. Was auf dem Bildschirm zu Hause zu sehen ist, entscheiden sie. Die beiden jungen Männer gehören zum sogenannten Streaming-Team des Bistums, das in der Corona-Krise für die Übertragungen aus dem Dom wurde. Auch jetzt, während Bischof Genn im Dom Brot und Wein wandelt, übernehmen sie die Fernsteuerung der vier Kameras, entwerfen Infotafeln und Bauchbinden. Konzentriert sitzen die beiden vor den Computern. Sie sind sich bewusst, dass die Videoübertragungen, die der Dom seit 2013 zu besonderen Anlässen ermöglicht, in diesen Tagen wichtiger sind denn je. „Wir verzeichnen seit Montag deutlich mehr Abrufe als sonst zu einem durchschnittlichen Anlass“, sagt Kuhn. Etwa 4.000 Zugriffe werden es an diesem 19. März für den 8-Uhr-Gottesdienst mit Bischof Genn sein.

Auch wenn Grohs und Kuhn mit dem Ablauf und der Technik vertraut sind – geändert hat sich einiges, seitdem die Gottesdienste nicht mehr öffentlich stattfinden. Grohs wählt Kamera 3 aus, die Bischof Genn am Altar zeigt, wie er das „Vater unser“ betet. „Eine Kameraperspektive fällt quasi weg“, sagt er. Die Totale auf den Kirchenraum sei uninteressant, wenn die Bänke leer sind. Einiges gehe außerdem schneller. Gerade gesagt, schon muss der 17-Jährige eingreifen. Bischof Genn hat die Kommunion empfangen. Dauert die Austeilung sonst mehrere Minuten, ist der Prozess jetzt mangels Gemeinde bereits nach wenigen Sekunden abgeschlossen. Grohs aktiviert Kamera 4. Gerade rechtzeitig, als der Bischof zum Dankgebet ansetzt, erscheint der Priestersitz im Bild. „Timing“, sagt der Schüler schmunzelnd zu seinem Kollegen.

Ein Stockwerk tiefer geht der Gottesdienst zu Ende. Der Domorganist greift noch einmal kräftig in die Tasten, begleitet von einer festlichen Melodie zieht der Bischof aus. „Ohne die Musik würde noch mehr fehlen“, ist sich Genn sicher. Dankbar ist er darum, dass Domkantor Alexander Lauer den Gesang durchs Mikrophon verstärkt hat – auch, um die übers Internet zugeschalteten Gläubigen zum Beten und Singen einzuladen.

„Bleiben Sie gesund“, ruft der Bischof Küsterin Gertrude Tiemann beim Abschied in der Sakristei zu. Außergewöhnliche Situationen erfordern außergewöhnliche Maßnahmen – auch bei der Küsterin. Sie hat an diesem Morgen den Gottesdienst nicht nur vorbereitet, sondern gleichzeitig die Aufgaben von Messdienerin und Lektorin übernommen. Um die Ausbreitung des Corona-Virus zu verlangsamen und so wenig Leute wie möglich in die Messe einzubeziehen, macht sie das gerne. Aber es fällt ihr nicht leicht, Menschen, die kurz vor 8 Uhr an der Hintertür des Domes klingeln und an der Eucharistiefeier teilnehmen wollen, abweisen zu müssen. „Ich habe schon einige verzweifelte Personen erlebt, die unbedingt in den Dom wollten.“ Gertrude Tiemann verweist dann darauf, dass sie den Dom unmittelbar nach dem Gottesdienst für das persönliche Gebet aufschließt. „Es ist berührend zu sehen, wie viele das Angebot nutzen.“ Und noch während sie den Schlüssel im Schloss herumdreht, weiß sie, dass sie auch heute wieder einigen Betern begegnen wird.

Foto: Bistum Münster

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