Wie eine Aussätzige… – Tagebuch einer Corona-Patientin (Teil 1)



Die Autorin des nachfolgenden Berichtes war eine der ersten, bei der das Corona-Virus in Bocholt nachgewiesen wurde. Ein Schock. Tagelang zermarterte sich Bianca das Gehirn, wo sie sich angesteckt haben könnte. Vergebens. Mehr noch als die Sorge um sich selbst beschäftigte sie die Angst, anderen Schaden zufügen zu können. Lesen Sie das Tagesbuch eines Albtraums.

Von BIANCA MÜMKEN

Samstag, 07.03.2020 23:30Uhr  Warum ist mir plötzlich so kalt? Liegt es an der Stimme des Sängers im Fernsehen? Nein. Gänsehaut am ganzen Körper. Immer wieder Kälteschauer in Intervallen, fast 30 Minuten lang. Ich verabschiede mich von meinem Freund, fahre nach Hause, lege mich schlafen

Sonntag, 08.03.2020 11:00Uhr Ich wache auf, habe Schnupfen und leichtes Halsweh. Abends gesellt sich ein leichter Husten dazu. Ich verbringe den Tag warm eingepackt auf dem Sofa.

Montag, 09.03.20 8:30 Uhr. Ich versuche die Arztpraxis zu erreichen, die die Vertretung für meinen Hausarzt übernommen hat, da sich der in Urlaub befindet. Keine Chance. 17 Anrufe. Ständig besetzt. Oder ich lande in der Warteschleife, die nach maximal drei Minuten durch automatisches Auflegen endet. Unglaublich. Also suche ich im Internet nach anderen Telefonnummern. Ich rufe beim Gesundheitsamt an. Schließlich habe ich Symptome und die könnten Anzeichen für eine Infektion mit dem Coronavirus sein. Auch in Borken ist ständig besetzt. Das kann doch nicht wahr sein. Also versuche ich die 116-117. Vielleicht habe ich da Erfolg? Fehlanzeige. Auch hier besetzt oder eine Bandansage, die nach kurzer Zeit endet, ohne dass ich weiterverbunden werde. Mittlerweile ist es 16.30 Uhr und ich habe immer noch nichts erreicht. Ich rufe meinen Freund an und bitte ihn die Praxis aufzusuchen und darum zu bitten, mich unbedingt anzurufen. Vorsichtshalber sende ich noch eine Mail hinterher. Zehn Minuten später. Endlich ein Kontakt. Man teilt mir am Telefon mit, dass man bei mir einen Abstrich machen möchte. Der Test wird meinem Freund mitgegeben. Ich bekomme die mündliche Anordnung, unbedingt zu Hause zu bleiben bis das Ergebnis vorliegt. Zwei Minuten später ruft mich mein Freund an und teilt mir mit, dass er auf dem Weg zu mir ist und den Test vor die Tür legt. Da ich Symptome habe, darf er nicht reinkommen. Zehn Minuten später trifft er mit dem Test ein und legt ihn mir vor die Haustür. Er bittet mich telefonisch am nächsten Morgen einen Abstrich von Hals und Nase zu machen, alles in die beschriftete Tüte zu packen und diese gut zu verschließen. Ich begutachte die Tüte mit dem Röhrchen. Mir wird etwas mulmig,  da ich nicht weiß, wie das Testergebnis ausfallen wird. Da Angst ein schlechter Berater ist, lenke ich mich den Rest des Abends mit Fernsehen und Telefonaten mit Freunden ab.

Dienstag 10.03.2020 10:00 Uhr Ich werde vom Klingeln meines Smartphones geweckt. Es ist mein Freund. Er teilt mir mit, dass er in 30 Minuten den Test abholen möchte und ich ihn vor die Haustür legen soll. Anschließend soll er den Test in den Briefkasten der Arztpraxis werfen wird, da man ihm verboten hat, diese zu betreten. Er hatte regelmäßigen Kontakt zu mir und könnte sich sofern ich positiv getestet werde auch mit dem Virus infiziert haben. Also heißt es abwarten und Tee trinken. Ich mache alles wie besprochen. Abstrich, Röhrchen in die Tüte und ab vor die Haustür damit. Den Rest des Tages verbringe ich mit Lesen und Fernsehen. Abends soll ich telefonisch Bescheid bekommen, ob positiv oder negativ getestet. Da ich nur leichten Schnupfen und leichtes Brennen im Hals verspüre, bin ich guter Dinge. Ich warte auf die Entscheidung. Abends um 19.30Uhr ruft mein Freund an. Ein Schock: POSITIV. Ich lache laut und nenne meinen Freund einen Spinner. Dann sage ich ihm, dass er aufhören soll zu scherzen. Aber es ist kein Scherz. Mit leiser Stimme bittet er mich, die Wohnung nicht zu verlassen und alle Personen anzurufen, zu denen ich in den vergangenen Tagen Kontakt hatte. Angst macht sich in mir breit . Ich weiß nicht ob ich lachen oder weinen soll. Diese Entscheidung nimmt mir mein Herz ab. Es fängt an zu rasen. Ich beende das Gespräch und spüre einen dicken Kloß im Hals. Was nun? Ich habe Vorerkrankungen. Und man liest ja so viel. Werde ich sterben? Ich bin doch erst 50 Jahre alt…

Ich zermartere mir das Gehirn. Wo könnte ich mich angesteckt haben? Mir fällt nichts ein. Ich hatte keinen Kontakt zum Menschen aus dem Kreis Heinsberg oder Urlaubern aus Südtirol. Vielleicht beim Bocholter Rosenmontagszug? Na dann, prost Mahlzeit! Es nützt nichts. Ich muss alle Menschen zu denen ich Kontakt hatte anrufen um sie zu bitten, sich ebenfalls testen zu lassen. Mit zugeschnürter Kehle rufe ich zuerst meinen Vater an und dann alle anderen. Als ich fertig bin, beginnt der Albtraum. Mir bleibt gar keine Zeit, mich mit meiner Angst zu beschäftigen, denn das Telefon steht nicht mehr still. Jede Menge Anrufe, Whattsapp- Nachrichten und Messenger- Nachrichten von Facebook. Unglaublich. Die Nachricht muss sich rasend schnell verbreitet haben. Das Telefon klingelt bis in die tiefe Nacht. Mir ist zum Weinen zumute, aber dafür habe ich gerade keine Zeit. Ich beantworte alle Nachrichten mit der Bitte mich nicht erneut zu kontaktieren, da ich dringend Ruhe benötige um genesen zu können. Meine größte Sorge ist der Gedanke meinen Vater oder meinen Freund infiziert zu haben oder andere Angehörige. Das schlechte Gewissen macht sich plötzlich breit. Was  wenn??? Ich möchte mir das gar nicht ausmalen. Das wäre wirklich das schlimmste was mir passieren könnte. Ich fühle mich, als hätte ich die Pest oder Cholera, wie eine Aussätzige…

Lesen Sie morgen den 2. Teil des Tagebuches.

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