Konzern Stadt – nichts sehen, nichts hören, nichts sagen



Eine Analyse von BERTHOLD BLESENKEMPER

„Westfälisch Kongo“ lautet der Spitzname für die Stadt Bocholt im Kreis Borken. Offiziell Kenntnis von den Geschäften zwischen Stadt und ihrer Tochtergesellschaft EWIBO will aber laut Stellungnahme in der heutigen Ausgabe des BBV auch dort niemand gehabt haben. Das ist insoweit verständlich, als (noch) nicht genau bekannt ist, was die Ankläger den durchsuchten Einrichtungen überhaupt vorwerfen und gegen wen sie tatsächlich ermitteln. Ganz ahnungslos aber war und ist Landrat Dr. Kai Zwicker als Chef der Aufsichtsbehörde vermutlich nicht.

Made in Bocholt hatte den Kreis bereits im Jahr 2018 als Kommunalaufsicht angeschrieben und prüfen lassen, ob die Stadt mit dem Betrieb des Tagungshotels Europa-Haus und der Gastronomie inklusive Catering-Services, Restaurant und Kellerbar an der Adenauerallee gegen § 107 der Gemeindeordnung NRW verstößt. Zwicker verneinte das damals mit der Begründung, dass die „Vorgaben über die wirtschaftliche Betätigung hier mangels Beteiligung der Stadt Bocholt nicht einschlägig“ seien. Offizieller Betreiber der Großgastronomie nämlich ist nicht die EWIBO als Tochter der Stadt, sondern die Leiharbeitsfirma PSA GmbH. Die wiederum ist eine Tochtergesellschaft der beiden Sozialvereine Jusina und LIA. Und die gehören offiziell eben nicht zum Konzern Stadt, selbst wenn in ihren Vorständen fast ausschließlich Konzernmitarbeiter oder deren Frauen arbeiten und der Geschäftsführer der PSA identisch ist mit dem der EWIBO.

Es wäre folglich wohl ein klarer Verstoß gegen die Gemeindeordnung gewesen, wenn die EWIBO selbst die Regie bei Hotel und Gastronomie geführt hätte. Weil die Verantwortung aber geschickt in eine Tochter der von einer Tochter der Stadt dominierten Vereine ausgelagert worden war, war so gut wie alles möglich – selbst die für Sozialvereine moralisch anrüchige, lukrative Vermittlung von billigen Arbeitskräften an andere städtische Töchter. 1,49 Millionen Euro hatte die PSA GmbH Ende des Geschäftsjahres 2019 auf diversen Bankkonten angehäuft. Das ist Geld, von dem im Rathaus niemand offiziell etwas wissen will und das bis heute keiner städtischen Aufsicht unterliegt. Überhaupt wurden weite Teile der Struktur gezielt vor einer Kontrolle etwa des unabhängigen Rechnungsprüfungsamtes geschützt.

Auch dass die EWIBO bis zu 10 Euro für ein Schulessen verlangte (was der Steuerzahler mit bis zu 5 Euro pro Essen subventionieren) oder für Sozialwohnungen am Ring monatlich 14,52 Euro pro Quadratmeter Wohnfläche von der Stadt nahm, schien für die Politik in Ordnung. Selbst dass die EWIBO das Gelände der alten Feuerwache plötzlich unter Umgehung sämtlicher politischen Ausschüsse und Gepflogenheiten im Hau-Ruck-Verfahren geschenkt bekommen sollte, war nicht zu verhindern. Stattdessen wurde oft und gerne darauf verwiesen, dass die EWIBO (steuerrechtlich) „mildtätig“ sei und „gemeinnützig“ handele.

Und es ging immer weiter. Die EWIBO wurde zur städtischen Wohnungsbaugesellschaft ausgebaut. Erst kurz zuvor war sie ganz offiziell auch noch eine Wohlfahrtsgesellschaft geworden. Jetzt waren neben vielen Handwerkers, Dienstleistern, Bildungsträgern und Immobilienhändlern auch noch die Sozialverbände wie Caritas oder AWo sauer auf die aus Steuermitteln subventionierte kommunale Konkurrenz. Wer die Dinge beim Namen nannte und den Finger in die Wunde legte, wurde nicht selten scharf attackiert. Von „unverantwortlicher Hetze“ gegen die EWIBO war im Oktober 2019 die Rede im Rat, als trotz eindringlicher Warnungen von Stadtbaurat Daniel Zöhler beschlossen wurde, die Tochtergesellschaft mit fünf Millionen Euro zusätzlichem Eigenkapital auszustatten, um sie fit zu machen für den freien Markt.

Aber auch am Berliner Platz selbst geschahen zu dieser Zeit merkwürdige Dinge. Zweimal hintereinander wurden Unternehmen, die gute Deals mit der Stadt abgeschlossen hatten, kurze Zeit später – „rein zufällig“ wie offiziell glaubhaft gemacht wurde – Großsponsoren eines traditionsreichen städtischen Fußballvereins mit engen Verbindungen ins Rathaus. Es galt die Devise: Nichts sehen, nichts hören und vor allem nichts sagen.

Fazit: Selbst wenn die Staatsanwaltschaft nichts finden sollte, wovon erst einmal auszugehen ist, ist spätestens jetzt klar, dass die vorhandene Strukturen zerschlagen werden müssen. Bürgermeister Thomas Kerhhoff scheint dazu bereit zu sein. Doch es ist fraglich, dass ausgerechnet diejenigen in der Politik ihm folgen werden, die das ganze Dilemma mit verursacht haben. Vielleicht braucht es ein unabhängige, mit Wirtschafts-, Rechts und Steuerexperten besetzte Kommission, die Kerkhoff unterstützt.

  1. Sehr interessant, was es in unserem gemütlichen, mittelstädtischen Bocholt (vermutlich) so alles gibt:

    -Schulessen bis zu 10 Euro,
    -Mieten bis 14,25 Euro/qm (in Bocholt!),
    -undurchsichtige Geldflüsse innerhalb einer mehrbödigen, intern verschachtelten Organisationsstruktur,
    -und das mit ein und dem selben Geschäftsführer (plus Angewandten) auf allen Ebenen!

    So etwas klingt wie Mafia, ’Ndrangheta, oder auch wie die verschachtelten, absichtlich undurchsichtigen Verflechtungen von Großbanken und Konzernen mit all deren Unter-Sub-Unter-Tochter-Unternehmen.

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