Bocholt 2025 – oder das Pippilotta-Prinzip setzt sich durch




Eine visionäre Glosse von BERTHOLD BLESENKEMPER (als Teil 3 und Abschluss unserer City-Serie)

21. Dezember 2025, 14:36 Normzeit.  Auf dem Marktplatz der World-Best-Christmascity Bocholt steht eine Gruppe junger chinesischer Touristen  auf der verzweifelten Suche nach einem im Internet als „Must-be-Place“ gepriesenen, touristischen Anziehungspunkt. „Where is the Altstadt, please“, fragen die leicht verwirrt wirkenden Gäste die Passanten. Google Maps kann oder will ihnen hier einfach nicht weiterhelfen. Plötzlich erinnert sich ein älterer Einheimischer, dass die 1945 völlig zerbombte und danach modern wieder aufgebaute Innenstadt mit Umsetzung des Flächenmanagements 2.0 vor zwei Jahren hochoffiziell in „Altstadt“ umgetauft worden war, um sich von der noch moderneren „Neustadt“ im Süden der City abzuheben. Die Chinesen ziehen von dannen und quittieren ihre Enttäuschung über den Etikettenschwindel auf Bewertungsplattformen im Internet mit jeder Menge Dislikes und 1-Sterne-Bewertungen.

Derweil drücken das Ravardiviertel, der dritten Säule des Flächenmanagements 2.0, ganz andere Sorgen. Die Polizei sieht sich nicht mehr in der Lage und weigert sich, an den Wochenenden weiter jede Nacht den behördlichen Aufpasser zu spielen und randalierende Schläger auseinanderzuhalten oder sich von besoffenen Hirnlosen anpöbeln zu lassen. Sie hat genug damit zu tun, immer mehr Autofahrer, die unter dem Einfluss von Gras, Weed, Pot, Ganja oder Marihuana stehen,  aus dem Verkehr zu ziehen. Die Wirte investieren massiv in private Sicherheitsfirmen. Durch die Mehrkosten verdoppelt sich der Bierpreis, was wiederum für einen eklatanten Kundenschwund sorgt . Die Besucher treibt es nun an den Aa-See, wo sich von TheAsh und L’Osteria  bis hin zur KuBAaI-Podiumsbrücke eine zweite Gastromeile entwickelt hat.

Mit Problemen haben auch die Apotheken in der City zu kämpfen. Nach der Nordapotheke haben drei weitere dicht gemacht, weil ein übermächtiger Onlinekonkurrent im neuen Stenerner Einkaufszentrum gegenüber vom Krankenhaus und dem weiter wachsenden Ärztezentrum mit einem realen Medi-to-go-Store den Abfangjäger spielt. Zudem hat die neue Generation der Alten und Kranken, die mit Smartphones und Digitaltechnik vertraut sind, kein Problem damit, nach einem kurzen Gedankenaustausch mit und Beratung durch Amazons „Alexa“ auf deren Rat zu hören, und Generika sowie andere Mittelchen per Sprachbefehl online zu bestellen und innerhalb einer Stunde nach Hause geliefert zu bekommen. 

Die nun leerstehenden Apotheken werden zum Teil von Handy- und Shisha-Händlern gefüllt. Dank einer durch künstliche Intelligenz gesteuerten App namens „Smart Hub Bocholt Prima Store“ müssen Leerstände in der Innenstadt nicht mehr gemeldet werden. Das Big-Data-System prognostiziert drohende Leerstände völlig selbstständig schon zwei Wochen vorher und zeigt sie mit Hilfe virtueller Realität und dank 5G-Übertragungstechnik immer und überall verlässlich an.

Stadtmarketingchef Ludger Dieckhues musste in diesem Jahr den Bokeltsen Treff absagen. Er hat einfach keine holländischen Drumbands mehr gefunden, die durch Bocholt ziehen wollen. Die Musiker spielen lieber auf dem Winterswijker Wochenendmarkt, der seit kurzem jeden Sonntag stattfindet und der Besuchermagnet schlechthin in der Region ist. Die deutschen Kunden von Jumbo und Albert Hein freuen sich über das zusätzliche Freizeitangebot. Shoppen und Bummeln mit der ganzen Familie macht nun mal einfach mehr Spaß. 

Der neue Bocholter Bürgermeister, Rolf Boesveld, der dank einer massiven Charm- und Blumengruß-Offensive auf „Bocholt Live!“ die Kommunalwahl 2020 gewonnen hat, hat in der Verwaltung erfolgreich sein Pippilotta-Prinzip („Ich mach’ mir die Welt wie sie mir gefällt“ ) eingeführt. Er hat für den heutigen Abend seine Teilnahme an der Leerstands-Party „10 Jahre Core di Leone“ fest zugesagt.

Das Rathaus an der Aa ist eine Bauruine, weil für die kalkulierten Kosten in Höhe von 46 Millionen Euro wegen der grassierend fortschreitenden Preise im Bauhandwerk keine Firma mehr geradestehen will. Die zu erwartenden Mehrausgaben in Höhe von 26 Millionen Euro lehnt der Rat nach massiven Protesten der Bürger in den sozialen Medien und mit einer Mehrheit von nur zwei Stimmen der AfD-Fraktion ab. Stadtbaurat Daniel Zöhler kündigt. Ihm geht nach eigenen Angaben in Bocholt „alles viel zu langsam“.

Offene Freude hingegen bei der Ewibo. Sie feiert in diesem Tagen mit großem TamTam die (wie gewohnt) erfolgreiche Blitzgründung ihres 50sten Geschäftszweiges. Die inzwischen größte Tochter im Konzern Stadt hat neuerdings das Thema Wohlfahrts- und Altenpflege für sich entdeckt und überzieht Bocholt nach einem durch die Kommune subventionierten Kauf von 32 japanischen, tariflich nicht gebundenen Pflegerobotern mit Seniorenheimen. Caritas und AWo laufen Sturm, erleiden aber am Ende das gleiche Schicksal wie sechs Jahre zuvor der Kolpingverein und das Kolpinghaus. Einwände der heimischen FDP, die irgendetwas von „schleichendem kommunalen Sozialismus“ faselt, werden von Bürgermeister Boesveld mit einem dezentem Hinweis auf das Pippilotta-Prinzip (siehe oben) überhört oder entrüstet zurückgewiesen.

Rrrrrriiiiiiiiiiing. Der Wecker klingelt. Ich werde schlagartig wach. Zum Glück war alles nur ein Traum! Oder etwa doch nicht alles…

Lesen Sie auch Teil 1 unserer Analyse: „Statt Marketing – über zwei verschiedene Welten in Bocholt“

Lesen Sie auch Teil 2 unserer Analyse: „1000 und 1 Webseite – über das Digitalchaos in der Stadt“

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