Serie 36,5 Grad: Mirjam mischt mit



VON BERTHOLD BLESENKEMPER (Text und Foto)

Flüchtlinge sind Menschen. Sie leiden, lachen, lieben. Und sie haben ein Gesicht. Mirjam Enghy weiß das. Seit Jahren arbeitet die 31-Jährige Walhbocholterin mit ungarischen Wurzeln in Migrationsprojekten. Eines davon wurde jüngst in Hamburg mit dem Integrationspreis des Bundesbauministeriums in der Kategorie „Nachbarschaften“ ausgezeichnet. Mirjam Enghy kennt auch die Vorbehalte gegen Menschen aus fremden Länden und Kulturen. Und die 31-Jährige hat eine einfache Erklärung dafür. „Jeder trägt ein Brille. Wenn man dann versucht, die eines anderen aufzusetzen, sieht man erst mal unscharf und anders. Das ändert sich erst nach einiger Zeit“, meint die studierte Germanistin und gelernte Trainerin für Sozialkompetenz.

Dass die Welt offenbar durch weitaus größere und vor allem klarere Gläser betrachtet als die meisten anderen Menschen, liegt vermutlich an Mirjam Enghys Kindheit. Mit fünf Geschwistern als Tochter eines evangelisch-reformierten Pfarrer-Ehepaares in einem ungarischen Dorf mit 3200 Einwohnern aufzuwachsen, war nach nicht immer leicht. „Wir mussten – wie unsere Eltern auch – ständig Vorbild für andere sein“ erinnert sich die heute 31-Jährige. Aber die Zeit sei auch „sehr schön“ gewesen, ergänzt sie schnell. Denn schon früh lernte Mirjam die sozialen Komponenten des Berufes – besser gesagt der Berufung – kennen: das menschliche Miteinander, die Bedeutung von Achtung und Anerkennung, Herzlichkeit und Wärme.

Dennoch entschied sich Mirjam Enghy als junge Frau, einen anderen Werdegang einzuschlagen. Mit dem Rüstzeug von vier erlernten Fremdsprachen im Gepäck, ging sie nach Deutschland und studierte in Rostock Germanistik. Dann machte sie eine Ausbildung zur Fachkauffrau für Spedition- und Logistikdienstleistungen und arbeitete als Sales Managerin in einem international tätigen Unternehmen. „Aber das war auf Dauer nichts für mich. Mit fehlte der Umgang mit den Menschen“, so die Ungarin.

Mirjam ließ sich am Bremer Institut für Pädagogik und Psychologie zur Sozialkompetenztrainerin ausbilden und heuerte bei der Arbeiterwohlfahrt in Lippstadt an. Hier entwickelte sie das Projekt „Flüchtlingen ein Gesicht geben“ mit und übernahm die Leitung der Gruppe „Migranten Mischen Mit“. Erklärte Ziel war es, überwiegend junge Flüchtlinge aus der Isolation herauszuholen und sie zu ermutigen, Kontakt zu ihren deutschen Nachbarn aufzunehmen – und umgekehrt. Die Arbeit war so erfolgreich, dass sie gleich mehrfach mit Preisen ausgezeichnet wurde.

Dennoch ging Mirjam Enghy weg. Sie lernte in Lippstadt ihren heutigen Verlobten kennen und zog nach einiger Zeit zu ihm nach Bocholt. Eine neue Aufgabe fand sie beim Bildungszentren des Baugewerbes (BZB) in Wesel. Hier arbeitet sie im Projekt „Perspektiven für junge Flüchtlinge im Handwerk“ mit.

Ein Patentrezept für den Umgang mit Menschen aus Kriegs- oder Hungergebieten kennt auch sie nicht. Nur soviel weiß Mirjam Enghy: „Man muss die Menschen in erster Linie als Menschen betrachten. Sie kommen aus völlig anderen Kulturen mit völlig anderen Regeln. Sich hier anzupassen, dauert einfach seine Zeit“, erklärt die 31-jährige. Selbst Europäern falle es manchmal schwer, deutsche Gepflogenheiten zu verinnerlichen, weiß Mirjam Enghy aus eigener Erfahrung. Absolute Pünktlichkeit sei dafür ein gutes Beispiel.

Gleichwohl verkennt die 31-Jährige nicht, dass Integration zum großen Teil auch Anpassung ist. Die Sprache spiele dabei eine ganz wichtig Rolle. Geduld sei ebenso essenziell. Und manchmal eben auch Konsequenz. Wer gegen Regeln verstoße, ohne das daraus spürbare Konsequenzen für ihn erwachsen, sei nur schwer zu Veränderung seines Verhaltens zu bewegen, meint die 31-Jährige.

Apropos: Für Mirjam Enghy selbst stehen demnächst ebenfalls Veränderungen an. Im September wird geheiratet. Danach zieht sie mit ihrem Mann von Bocholt nach Werth in ein eigenes Haus. Dann heißt es wieder, Koffer packen, alte Nachbarn verlassen und neue begrüßen. Mirjam Enghy lacht und verrät das Geheimnis ihrer spürbaren Gelassenheit: „Ich habe nie das Gefühl gehabt etwas aufzugeben, sondern mich immer darauf gefreut, etwas Neues kennenzulernen.“

Lesen Sie diesen Bericht auch im Bocholter Stadtmagazin PAN

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