Stadtgeschichte: Der Stenographenverein Stolze-Schrey



Bocholt (PID). Das historische Foto des Monats, präsentiert vom Bocholter Stadtarchiv, handelt diesmal vom Stenographenverein Stolze-Schrey, der sich im November 1900 gründete, in einer Zeit, in der die Technik des Kurzschreibens zunehmend an Bedeutung gewann.
Ein aufblühendes Wirtschaftsleben in Deutschland, vor allem seit der Industrialisierung im 19. Jahrhundert, war ohne die Kurzschrift nur schwer möglich. Brauchte der Leiter eines Büros, einer Abteilung oder eines Unternehmens früher fast einen halben Tag zur Bewältigung seiner Aktenführung oder des Briefverkehrs, so diktierte er nunmehr der stenographischen Kraft die Korrespondenz in die Hand, was den Arbeitsaufwand deutlich verringerte.
Die Stenographie, die Redezeichenkunst, welche hierzulande vor fast 200 Jahren durch die Stenographen Gabelsberger, Stolze und Schrey sukzessive entwickelt wurde, ist somit ein Abbild der Sprache. Sie fixiert das Wort und verstand sich von Beginn an als Dienerin der Gedankenwelt, als ein Zweckmäßigkeitsfaktor bei den sich steigernden Anforderungen des öffentlichen Lebens.
In Bocholt war die Technik des Kurzschreibens schon seit 1878 durch den Ortsverein Gabelsberger bekannt. Am 20. November 1900 gründete sich in der Gaststätte „Bayrischer Hof“ aber ein zweiter Verein, der nach dem System Stolze-Schrey arbeitete. Erster Vorsitzender wurde bis 1902 Eduard Hirth, dem Bernhard Rietkötter bis 1908 nachfolgte. Die Vertreter dieser Gruppierung behaupteten von sich, dass ihr System in 12-15 Stunden vollständig gelehrt und gelernt würde, demnach drei bis vier Mal so schnell wie das altbekannte Gabelsberger’sche.
Insofern standen sich beide Vereine konkurrierend gegenüber, und nicht selten gab es Auseinandersetzungen zwischen beiden Gruppen zur Frage, welche denn nun die ausgereiftere oder leichter erlernbarere Systematik sei. Aber der Stenographenverein Stolze-Schrey konnte sich durchaus gegen den großen Konkurrenten behaupten und veranstaltete regelmäßig Weiterbildungskurse im Hotel Gerbaulet. Er vertrat den Standpunkt, dass nicht die Technik, sondern vielmehr die Praxis den Meister bilde. Seine Mitglieder besuchten Kreis- und Bundestagungen, nahmen an auswärtigen Wettschreiben teil und erzielten so manchen nennenswerten Erfolg. Einmal gewann ein Mitglied den ersten Preis für eine Leistung von 280 Silben in der Minute. 1908 gründete sich innerhalb des Ortsvereins eine Damenabteilung.
Arbeit und Ausbildung standen im Mittelpunkt des Bocholter Stenographenvereins Stolze-Schrey. Es fehlte aber auch nicht an Geselligkeit und Vergnügen. So konnten die mehr als 100 Mitglieder am 5./6. September 1925 ihr silbernes Vereinsjubiläum mit einem Wettbewerb im Schön- und Richtigkeitsschreiben sowie mit einem Tanzkränzchen und öffentlicher Festversammlung begehen. Das Foto zeigt eine Gruppe von überwiegend jüngeren „Stolze-Schreyern“ in feucht-fröhlicher Runde, möglicherweise sogar aus Anlass der Jubelfeier ihres Vereins. 1936 musste dieser seine Arbeit einstellen und konnte erst zum 2. März 1953 wieder ins Leben treten.

Foto: Stenographenverein Stolze-Schrey 1925 Stadtgeschichte (Copyright: Stadtarchiv Bocholt)

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert