Bocholterin Juristin stellt fest: „Einsatz von V-Männern der Polizei verfassungswidrig“



Für den Einsatz von verdeckt eingesetzten Verbindungsmännern für die Polizei gibt es keinerlei gesetzliche Legitimation. Das ist das zentrale Ergebnis einer Dissertation, die die Bocholterin Dr. Anna Luise Decker an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster (WWU) erstellt hat – die Juristin arbeitet mitterweile als Richterin in Berlin. Ihr Urteil über die geheim gehaltene Arbeit der sogenannten Verbindungsmänner (V-Männer) ist eindeutig: „Deren Einsatz ist verfassungswidrig.“ Das schreibt die WWU in einer Pressemitteilung.

Darin heißt es weiter: Anna Luise Decker war seinerzeit „mehr als überrascht“, als sie während ihres Praktikums bei einem Berliner Rechtsanwalt präzise Einblicke in den Fall eines türkischen Café-Betreibers bekam, der in intensivem Kontakt mit einem eher zwielichtigen V-Mann der Polizei stand. Ihre Überraschung steigerte sich noch, als die Jura-Studentin der Universität Münster damals von einem ähnlich gelagerten Fall aus Hamburg erfuhr – die Berliner Ereignisse landeten sogar vor dem Bundesgerichtshof. Was beide Fälle einte, war die Tatsache, dass die jeweiligen V-Mann-Einsätze „ohne jede rechtliche Grundlage“ stattfanden. „Wahnsinn, was sich auf diesem Feld abspielt“, lautete Anna Luise Deckers Fazit.

Die 31-jährige Bocholterin wollte es genauer wissen. In ihrer von Prof. Dr. Michael Heghmanns und Prof. Dr. Mark Deiters betreuten Dissertation mit dem Titel „Der V-Mann-Einsatz durch Polizei und Verfassungsschutz“ untersuchte sie die aktuelle Praxis der Zusammenarbeit zwischen privaten Vertrauenspersonen und der Polizei. Das Ergebnis: Anders als beim Einsatz von V-Männern für den Verfassungsschutz und von verdeckt eingesetzten Polizisten gebe es für die Ausforschungen von Privatleuten für die Polizei keine gesetzliche Legitimierung.

Aus nachvollziehbaren Gründen weiß niemand, wie viele V-Männer für die Polizei hinter die Kulissen schauen. Anna Luise Decker vermutet jedoch, dass deren Zahl deutlich höher liegt als die der inkognito agierenden Polizisten. Denn V-Männer haben den großen Vorteil, dass sie sich oft in dem (kriminellen) Milieu gut auskennen, das sie erkunden sollen – anders als Polizisten, die für Rocker, Drogendealer oder Clan-Mitglieder auch in privater Kluft schnell als Staatsbedienstete zu erkennen sind.

Allein daraus, meint Anna Luise Decker, ergebe sich die Notwendigkeit einer gesetzlich eindeutigen Normierung. Denn die Hoffnung auf finanzielle Entlohnungen oder Strafnachlässe stellten häufig „fragwürdige Einsatzmotive“ der V-Männer dar – aufgrund ihres „kriminologischen Profils“ wiesen viele von ihnen eine „erhöhte Unzuverlässigkeit“ auf. Und das ausgerechnet bei einer Gruppe, die rechtlich als „Verwaltungshelfer“ zu qualifizieren und deren „enorme Eingriffsintensität“ somit dem Staat zuzurechnen sei. Zudem hätten jegliche Aktivitäten der polizeilichen Privatspione „Grundrechtsrelevanz“.

Der Vorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG), Rainer Wendt, kann dagegen „überhaupt kein Problem erkennen“. Der Einsatz von privaten V-Leuten sei einerseits durch den Passus zur Gefahrenabwehr in den Polizeigesetzen der Länder, andererseits durch die „Eingriffsgeneralermächtigung“ für die Strafverfolgung geregelt. „Das reicht“, betont der DPolG-Chef auf Anfrage. Zwar sei der früher dominierende Gedanke, dass der Staat nicht gegen Gesetze agieren dürfe, durch den Grundsatz abgelöst worden, wonach der Staat nur mit einem Gesetz aktiv werden dürfe. Dieser Perspektivwechsel erschwere allerdings bisweilen die Arbeit der Polizei.

Er sei der Überzeugung, dass sich der Staat „nicht künstlich dumm“ machen dürfe. Die von Anna Luise Decker monierte fehlende gesetzliche Grundlage sei „allenfalls ein Phänomen der Rechtsphilosophie“ – in der Praxis gebe es dagegen keinerlei Probleme. Das sieht die ehemalige WWU-Studentin allerdings ganz anders. Es gebe Beispiele aus Strafverfahren dafür, dass Anwälte von Angeklagten mit Verweis auf zweifelhafte Aktionen von V-Männern der Polizei eine erhebliche Strafverringerung ihrer Mandanten durchgesetzt hätten.

Für Anna Luise Decker steht fest, dass der Gesetzgeber gut beraten wäre, den V-Mann-Einsatz in der Strafprozessordnung zu regeln – beispielsweise analog zum Einsatz für den Verfassungsschutz. Und warum passiert nichts? Bei dieser Frage kann die Berliner Richterin nur spekulieren. „Manche sprechen abschätzig von einem Grundrecht für Verbrecher, andere verweisen auf die heikle gesellschaftlich-politische Lage, in der man V-Mann-Einsätze auf keinen Fall erschweren sollte. In jedem Fall scheint es ein heißes Eisen zu sein.“

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