Wie eine Aussätzige… – Tagebuch einer Corona-Patientin (Teil 2)



Die Autorin des nachfolgenden Berichtes war eine der ersten, bei der das Corona-Virus in Bocholt nachgewiesen wurde. Ein Schock. Tagelang zermarterte sich Bianca das Gehirn, wo sie sich angesteckt haben könnte. Vergebens. Mehr noch als die Sorge um sich selbst beschäftigte sie die Angst, anderen Schaden zufügen zu können. Lesen Sie das Tagesbuch eines Albtraums – Teil 2

Von BIANCA MÜMKEN

Das Telefon klingelt. Meine Freundin Elisabeth. Es tut gut ihre sympathische und warme Stimme zu hören. Sie will mich aufheitern. Nach 2 Stunden lege ich mit gutem Gefühl auf. Meine Angst ist wie weggeblasen. Nette Gespräche legen sich wie Balsam auf meine Seele. Die Freude währt allerdings nicht lange. Mein Gesicht wird warm und ich habe leichte Halsschmerzen. Was nun? Geht es jetzt erst richtig los? Hat das Virus von meinem Körper Besitz ergriffen. Das werde ich nicht zulassen. Ich eile in die Küche. Tee mit frischem Ingwer, Zitronensaft und Honig sollten helfen. Danach gurgle ich mit lauwarmen Salzwasser. Nun müssten die meisten Viren eliminiert worden sein. Etwas beruhigter lege ich mich schlafen. 5.00Uhr morgens. Immer noch wach. Kopfkino, Angst, Erschöpfung und Sorge um die Angehörigen. Ich höre kurz das Zwitschern der Vögel im Garten als ich völlig erschöpft in den Schlaf falle.

Mittwochmorgen, 8.15 Uhr Telefon. Gerade mal 3 Stunden Schlaf. Frau Doktor erkundigt sich nach meinem Befinden. Mir fallen fast die Augen zu. Dann wieder das Telefon. Gesundheitsamt.  Fast wieder eingeschlafen, wieder das (verdammte!) Telefon. So geht es 2 Stunden. Ordnungsamt, Lebensgefährte, Frau Doktor, Freunde und Co. Angst macht sich breit. Erst jetzt beginne ich zu realisieren, was geschehen ist. Bin ich nun dem Tode geweiht? Was wird aus den Menschen, die ich liebe? War es das nun? Warum ausgerechnet ich?? Wieder dieses Kratzen im Hals und mein Herz schlägt so fest, dass ich das Gefühl bekomme es möchte meinen Brustkorb sprengen. Auf wackeligen Beinen begebe ich mich ins Bad. Schlafen kann ich ohnehin nicht mehr. Er wurde mir geraubt. Von zahlreichen Anrufen und meiner wieder völlig präsenten Angst. Ich möchte sie abschütteln, doch es gelingt mir nicht. Ich muss mich ablenken. Heute Abend erfahre ich die Testergebnisse meines Vaters, meines Lebensgefährten und unserer Angehörigen . Duschen, spülen, Fische füttern. Wasserwechsel im kleinen Aquarium. Mein Hals brennt. Wieder gurgle ich mit Salzwasser und lutsche anschließend eine Halstablette.

16.00 Uhr. Ich sitze auf dem Sofa starre ins Leere und bin völlig erschöpft. Wieder das Telefon. Papa. Noch immer kein Ergebnis. Ich sehe das Meer mit all seinen Facetten. In der Ferne ein Schiff…..Hilfe. was ist das? Ok. Nichts. Ich bin nur eingeschlafen und vom Telefon, wieder Papa, geweckt worden. Der Rest des Tages verläuft mit zahlreichen Nachrichten und Anrufen besorgter Angehöriger und Freunde. Ich messe zum vierten Mal Fieber. Normale Temperatur. Das beruhigt mich ein wenig und ich falle in einen tiefen Schlaf.

Donnerstag 8.30Uhr: Der frühe Vogel kann mich mal. Ich gehe jetzt nicht an das verflixte Telefon. Ton aus, weiterschlafen. Mein Mund ist trocken, meine Nase verstopft, aber ich schlafe wieder ein. Für Angst bin ich gerade zu müde.

13.15 Uhr: ich wache auf. War das ein Albtraum? Oder wurde ich tatsächlich positiv auf das Corona- Virus getestet? Halsweh, wieder diese verflixte Angst. Weiche von mir du böser Geist. Angst ist ein schlechter Berater. Her mit der Ablenkung. Duschen, Tee mit Ingwer und aufs Telefon schauen. Oh no: 13 entgangene Anrufe. Ich höre die Mailbox ab und da ist sie endlich, die tolle Nachricht. Papa negativ getestet. Das beruhigt mich. Dich freuen kann ich mich nicht. Später erfahre ich, dass auch alle anderen negativ getestet wurden. Gott sei Dank. Ich wäge meine Lieben in Sicherheit. Außer Halsweh keine weiteren besonderen Vorkommnisse. Nur die Angst bleibt. Vor dem was kommen mag. Die Tage vergehen und abgesehen von einem leichten Schnupfen, leicht erhöhter Temperatur und etwas Halsweh gesellen sich keine neuen Symptome hinzu. Am Samstag, Tag 5 der Quarantäne beginne ich mit positiven Gedanken. Ich schreibe mittlerweile meinen dritten Einkaufszettel. Meine Freunde und Bekannten beliefern mich regelmäßig mit Lebensmitteln, die sie mir vor die Haustür stellen. Sie rufen mich an, nachdem sie die Einkaufstaschen abgestellt haben. Da das Corona- Virus per Tröpfchen übertragen wird, wäre es fatal wenn ich niesen oder Husten müsste und mir genau dann jemand gegenüber stünde.

Ich hatte in meinem Leben häufig Angst. Auch heute ist die Angst mein ständiger Begleiter. Aber sie hat an Gewicht verloren. Täglich verfolge ich die Neuigkeiten zum Coronavirus. Sowohl im Fernsehen als auch in den sozialen Netzwerken. Nichts anderes mehr. Das Virus verbreitet sich rasend schnell. Und obwohl die Letalitätsrate eher gering ist, es kann jeden treffen. Ich verstehe nicht, wie die Menschen so leichtfertig mit ihrem Leben umgehen können. Sich in große Menschenmengen zwängen um Hamsterkäufe zu tätigen. Es gibt genug Lebensmittel für alle. Arme alte Menschen mit traurigem Blick irren verwirrt durch die leeren Regale. Man sieht die Angst in ihren Augen. Während auf der einen Seite Ärzte um das Überleben der Infizierten kämpfen, umarmen sich auf der anderen Seite Menschen und küssen sich zur Begrüßung auf die Wangen ohne zu wissen ob sie bereits infiziert sind oder nicht. Wie kann man nur so leichtsinnig sein?

Der Ernst der Lage scheint vielen Menschen noch nicht bewusst zu sein. Denn wäre es so, würden sie soziale Kontakte meiden, Sicherheitsabstand halten und nach Möglichkeit zu Hause bleiben. Nur so lässt sich die Verbreitung des Coronavirus verlangsamen. Nur durch gewonnene Zeit und mit den nötigen Kapazitäten lässt sich dieses sehr ernst zu nehmende Problem auf lange Sicht beheben. Es ist kein Kindergeburtstag, es ist eine Pandemie. Nun, da sich das Virus auch in Deutschland rasend schnell verbreitet, sollten sich alle Menschen an Anordnungen halten und dazu beitragen, dass nötige Zeit gewonnen wird. Ich würde meinem ärgsten Feind, sofern ich einen hätte nicht die vergangenen durchlebten Tage wünschen. Sie waren für mich die Hölle. Heute ist der siebte Tag der Quarantäne. Ich denke positiver und habe abgesehen von leicht erhöhter Temperatur keine weiteren Beschwerden mehr. Abgesehen von entzündeten Händen, bedingt durch übermäßigen Gebrauch von Desinfektionsmitteln. Obwohl ich positiver in die Zukunft sehe und mich viel ablenke, ist die Angst noch immer mein ständiger Begleiter. Nicht mehr so groß, aber die bleibt. Bis alles endlich überstanden ist. Und das dauert noch…

Lesen Sie hier Teil 1 des Tagebuches

  1. Liebe Bianca,
    erstens, hoffe ich dass es dir heute besser geht als gestern – jeden Tag.
    dann will ich mich bedanken für deinen Mut uns zu erzählen, wie es bei dir mit diesem Virus läuft: man braucht eine sehr großartige und menschliche Seele um sich zu wagen so in der Öffentlichkeit zu stehen.
    Aber du hast mir etwas geschenkt mit deinem Tagebuch – für das Leben.
    Es gibt nur ein Antidot für Angst – und das ist Liebe. Und wie du es uns sagst, hast du das in deinem Leben und Seele.
    Die Hoffnung kommt aus deinem Mut – weil man heutzutage wirklich sehr mutig sein muss, um zu lieben.
    Während zweifelnde Augenblicke, muss man einfach fake it to make it – aber wir sind nur menschlich, und dass ist genau was uns rettet wird.
    Bleib menschlich und pass auf deine Nebenmensch auf – wenn wir alle es so als unsere tägliche Pflicht machen, dann schaffen wir diese Welt zu verbessern.
    Als Mensch brauche ich eine warme Umarmung – das ist was ich dir schenken kann, 2200km weg von Bocholt aus Portugal.
    LG,
    José Manuel Silva

  2. Ellen Essink says:

    Hi Bianca, wenn du wieder gesund bist, werde ich dir eine große Schüssel voll Herrencreme machen.
    Halt den Kopf hoch
    Lieben Gruß, Ellen

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