Aus der Not geboren



Ehrenamtliches Engagement spielt in Bocholt eine bedeutende Rolle. Um dies sichtbar zu machen, verfasst die Redaktion der Freiwilligen-Agentur Bocholt regelmäßig Porträts und Storys über dieses Engagement, welche wir auch hier auf Made in Bocholt veröffentlichen

Das Leben mit einem psychisch kranken Mitmenschen verlangt ungeheuer viel von den Angehörigen. Das weiß Hildegard van Acken aus eigener Erfahrung. Die facettenreiche Arbeit in der „Fähre e.V. Rhede“ trägt maßgeblich dazu bei, sich und anderen auf dem schweren Weg zu helfen.

Mitte der 1970er Jahre machte sich bei Hildegard van Acken`s Mann eine psychische Erkrankung zunehmend bemerkbar. Seine Frau benötigte dringend Unterstützung bei der Bewältigung der Probleme. Doch Bocholt sei zur damaligen Zeit eine Diaspora im Umgang mit psychisch Erkrankten sowie ihren Familien gewesen, erinnert sie sich. Sie habe sich weitgehend wie eine Einzelkämpferin gefühlt, unterstützt allein von ihren Eltern, die immer an ihrer Seite standen. Es fehlten fachkundige Ansprechpartner, die Hilfe und Tipps geben konnten.

Als es so aussah, als hätte Familie van Acken die Krankheit in den Griff bekommen, schien  ein „normales“ Leben möglich. Doch der Eindruck war leider trügerisch. Die Krankheitsschübe traten erneut und stärker auf; ohne professionelle Hilfen war der Alltag nicht zu schaffen. Nach Eröffnung  der  Psychiatrie des St. Vinzenz-Hospitals Rhede Anfang der 80er Jahre wurde eine gute Anlaufstelle gefunden.

Leinen los für die „Fähre“

Die Gespräche mit Angehörigen anderer psychisch erkrankter Menschen brachten Erleichterungen. Im Austausch mit Betroffenen konnte Hildegard van Acken erfahren, dass die meisten bei Ausbruch der Krankheit zunächst hilf- und ratlos sind. Teilweise glauben sie gar, Schuld am psychischen Leiden des Angehörigen zu haben. Die Erkenntnis, dass dies nicht der Fall ist, reift nur sehr langsam. Die Gespräche zeigten, dass Angehörige tief im Thema sind. Daraus erwuchs der Gedanke, aus den zufälligen Begegnungen ein festes, regelmäßiges Treffen zu gestalten.

So wurde Anfang 1990 aus einer Angehörigeninitiative zusammen mit psychiatrischen Fachkräften  die „Fähre“ gegründet. Hildegard Enting, Gründungsvorstand und selber als Angehörige betroffen, schreibt in der Broschüre zur 25-jährigen Vereinsgeschichte: „Die Idee [wurde] realisiert, eine Kombination aus Gruppengespräch – möglichst unter der Leitung eines Facharztes – und einem Informationsteil zu schaffen“. Zum Informationsteil, der im Anschluss an die Gruppengespräche stattfindet, wurden und werden Fachleute aus ganz unterschiedlichen Bereichen und Berufsgruppen eingeladen, erläutert Hildegard van Acken, die sich ebenfalls von Anfang an aktiv am Aufbau der „Fähre“ beteiligte.

Nach Hildegard Enting, heute Ehrenvorsitzende, übernahm Hildegard van Acken 2006 den Platz als erste Vorsitzende im ehrenamtlichen Vorstand. Wenn sie über ihre Aufgaben berichtet, ist ihre Begeisterung über das Geschaffene deutlich spürbar.  „Die ´Fähre` ist stolz darauf, mit ihrer ´Mannschaft` den seelisch kranken Menschen auf dem Weg vom Ufer der Erkrankung zum Ufer der Stabilisierung, Verselbstständigung und Gesundung ein Stück zu begleiten. Wir sitzen alle in einem ´Boot`, das für uns zur Fähre wurde.“ Diese Gedanken verdeutlichen anschaulich den Namen des Fördervereins.

Unermüdlicher Einsatz

Die Krankheit ihres Mannes begleitete Hildegard van Acken, war auch treibender Motor ihrer Initiativen. Aus eigener Erfahrung kannte sie das Hin und Her der zeitweiligen Berentung und des Wiedereintretens ins Berufsleben. Sehr  schnell  wurde das Arbeitstraining ein Pfeiler der Fähre. Um dieses zu ermöglichen, wurden Betriebe gesucht – und gefunden -, die die Bemühungen unterstützen. Andere Bereiche sind der Runde Tisch Psychiatrie, die Gartengruppe „Sonnenschein“, der Begegnungstreff am Samstag, der Fähre-Mode-Service, Freizeit- und Urlaubsangebote, um nur einige zu nennen. Die Selbsthilfe gruppe „Sonnenschein“ hat eine wunderschöne Gartenanlage geschaffen, in der geackert, gepflanzt, geerntet und auch gefeiert werden kann.  Der Fähre- Mode-Service ist eine Kombination aus Änderungsschneiderei  und  Second-Hand-Laden für Damen. Allein hier sind über 20 Ehrenamtliche tätig. Diese Einrichtung gehört zum Arbeitstrainingsangebot der Fähre.

Im Jahr 2014 wurde dem Förderverein Fähre e.V. der Sozialpreis des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (LWL) verliehen, der alle zwei Jahre besonders innovative Leistungen sowie überdurchschnittliches bürgerschaftliches Engagement anerkennt. Hildegard van Acken ist mit Recht stolz auf diese Auszeichnung, gehört die „Fähre“ doch zu den ganz wenigen Vereinen, die sich seit ihrer Gründung kontinuierlich trifft und weiterentwickelt. Sie ist sich darin sicher: „Ich habe ein rundherum gutes Netzwerk, auch durch die ,Fähre‘. Das hat mir bei der Erkrankung meines Mannes sowie seines viel zu frühen Todes 2016 sehr geholfen.“ Durch all die schweren Jahre bis heute hat die Wertschätzung von Seiten Betroffener, Mitglieder sowie Förderer dazu beigetragen, dass sie sich nicht „verliert“. Mit Hilfe von rund 80 ehrenamtlichen Mitstreitern gelingt es der „Fähre“, Hilfe suchende Menschen zu unterstützen. Hildegard van Acken sagt: „Ich bin froh, dass wir den Menschen viel geben können, dass sie bereichert nach Hause gehen.“

Neues Projekt mit Herzblut

Intensiv kümmert sich Hildegard van Acken um ein erweitertes Angebot der „Fähre“, das Projekt „Optimist“. Dieses richtet sich an Kinder und Jugendliche, deren Eltern mit einer psychischen Erkrankung zu kämpfen haben. Nicht selten schämen sich die Eltern für ihre Krankheit, wissen nicht, wie sie diese ihren Kindern verständlich machen können. Auch die Kinder selbst sind verunsichert, traurig, trauen sich nicht, Mama oder Papa auf ihr manchmal verändertes oder unverständliches Verhalten anzusprechen. Außenstehende erkennen die Probleme oftmals gar nicht, ein Deckmantel des Schweigens verhindert eine Auseinandersetzung.

Flyer des Förderverein Fähre e.V.

Der Aufbau dieser neuen Anlaufstelle kostete viel Kraft und Ausdauer, weiß Hildegard van Acken zu berichten. Es gibt seitens öffentlicher Träger zunächst keinerlei Zuschüsse, erst wenn das Projekt drei Jahre lang erfolgreich durchgeführt wurde.  Sie ist glücklich, dass dies gelungen  und das Projekt „Optimist“ fester Bestandteil des Angebots geworden ist. Im Flyer heißt es: „In der Gruppenarbeit mit den Kindern soll es darum gehen, dass die Kinder ihre Gefühle zum Ausdruck bringen dürfen, dass sie Fragen […] stellen dürfen und auch Antworten darauf bekommen.“ Im Zusammensein mit anderen Kindern können sie kennenlernen, wie diese mit der Situation zu Hause umgehen. Für sie sei es ganz wichtig, dass die Kinder ermutigt werden, optimistisch in die Zukunft zu blicken, so formuliert Hildegard van Acken ihre Herzensangelegenheit.

                                                                                                                                                                                    – ah –

Quelle: Wir für Bocholt – Den Originalbeitrag finden Sie hier

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