Buen Camino (Teil 7) – von flüsternden Stimmen, einem Disney-Abschnitt und der großen Erleichterung am Zielort



Jacqueline Reuvers pilgert seit Ostern den mehr als 800 Kilometer langen, auch Camino genannten Jakobsweg von Frankreich bis ins nordspanische Santiago de Compostella. Exklusiv für Made in Bocholt schreibt sie einen wöchentlichen Blog. Lesen Sie heute im siebten und letzten Teil von flüsternden Stimmen, dem Disneycamino und die Erleichterung am Zielort Santiago

Etappe 30 – Von Trabadelo nach O’Cebreiro

Ich bin um 5.45 Uhr aufgestanden. Was für eine Nacht. Der Schnarchfaktor lag auf einer Skala von 1 bis 10 bei einer glatten 10. Ich verließ Casa Susi in der Dunkelheit. Susi und Fermin sind wirklich sehr gastfreundliche Hospitaleros. Susi ist Australierin und ist den Camino schon zehnmal gelaufen.


Ich mache mich auf den Weg zum nächsten Anstieg nach O’Cebreiro, einem weiteren ganz besonderen Ort auf dem Camino Frances. Ich wandere durch alte Bergdörfer und genieße die wunderschöne Natur. Es ist überwältigend.

Um 14.45 Uhr erreiche ich endlich O’Cebreiro. Das Gefühl in meinen Beinen ist verschwunden. Auf dem Weg hierher dachte ich sogar, ich würde mich irgendwo auf dem Weg hinlegen und nicht mehr aufstehen. „Halte durch Jacqueline“ flüsteret eine innere Stimme. Und wie überglücklich bin ich, als ich O’Cebreiro erreiche. Ich fühle mich, als hätte ich den Kilimandscharo bestiegen. Ich habe ein schönes kleines Zimmer, allein. Gott sei Dank.

Etappe 31 – Von O’Cebreiro nach Filloval

Was für Aussicht, unfassbar schön. Ich habe auch noch nie so eine bewegende und schöne Messe erlebt – in der ältesten erhaltenen Kirche am Camino Frances, Santa Maria la Real. Der Aufstieg war wirklich anstrengend, aber allein die Aussicht und der schöne, unvergessliche Gottesdienst in der Pilgerkirche waren es mehr als wert. Am Ende des Gottesdienstes versammelten sich alle Pilger und bildeten einen Kreis um den Altar. In acht Sprachen wurde der Pilgersegen erteilt und wir erhielten alle einen Stein mit einem gelben Pfeil darauf.

Unvergesslich schön und rührend, der Padre übte mit uns : Ultreia et Suseia! Und er fügte hinzu , nehmt alle die Liebe im Herzen mit nach Hause.

Auf einmal stand sie vor dem Café, Yejin aus Korea. Nach ca 400 Kilometer war das Wiedersehen toll! Caminofamily….

Etappe 32 – Von Filloval über Samos nach Sarria

Porridge, i love it! Das Frühstück eine Wohltat, kein Toast oder Tortilla selbst der Bocadilla heute war für mich nicht attraktiv genug. Ich laufe los, es ist noch sehr kühl und grau. Nach dem gestrigen Wasserfall, Blitz und Donner kam ich durchnässt in Fillobal an. Die Bar neben der Albergue eine Oase mit herrlichen Gerichten. So habe ich eine vegane Lasagne genossen.

Ich denke, die heutige Etappe gehört zu einer der schönsten Wanderungen. Der Weg nach Tricastela ist wie in einem Bilderbuch. Es regnet richtig, fleißig durchstapfen, Socken und Füße pitschnass, das märchenhafte Gallizien bezaubert. Ankunft in Sarria, heute ein Appartement gebucht mitten im Zentrum, nicht schlafen in Papierbettwäsche, wie schön! Selber kochen, die Heizung ist an und eine Waschmaschine ist auch vorhanden, ich freu mich! 
Die letzten 129 Kilometer ab morgen. ?


Dann fängt Disneycamino an. Die ersten Feiertrüppchen trinken sich warm, junge Spanier die die letzten Kilometer feiernd bewegen, dafür muss man zwei Stempel am Tag abholen.

Etappe 33 – Von Sarria nach Villacha

Etwas später gestartet heute, ich war nicht mehr so motiviert. Jetzt ist es schon wieder viel besser nach dem ersten Stopp in Barbadelo, ich habe etwas „Heimweh “. Ich weiß aber, in ein paar Tage habe ich mein lange ersehntes Ziel gut erreicht. Optimistisch sein und das bin ich, ich bekomme mein vertrautes Gefühl wieder zurück. Das geht auch gar nicht anders, man kann sich hier nur erfreuen an eine traumhafte Natur. Vögel Gezwitscher, herrlicher Landluft, kleine uralte Dörfer, Kirchen und Kloster die man nur aus dem Film “der Name der Rose” kennt.

Ich denke oft daran, wie die Pilger früher gereist sind, das waren schon andere Umstände und ich empfinde tiefen Respekt. Wir haben dicke Wanderschuhe, Smartwool-Socken, Smartwool-Shirts, winddichte Jacken und Regenschutzkleidung, Schlafsäcke und Cremes für jedes Körperteil. Wir haben zu essen , zu trinken und Pilgermenüs – und das für kleines Geld. Uns geht es nur gut.


Heute sind es nur 23 Kilometer. Es regnet wieder, bis jetzt konnte ich mich noch gut schützen unter dem dichten Laub. Also mein Poncho wieder anziehen und fleißig weitermachen, nach zehn Minuten suche ich doch etwas Schutz in einer alten Scheune. Ich setze mich neben den alten Trecker und zwischen Kaminholz …

Etappe 34 – Von Vilachia über Palas de Rei nach Melide

Viva la Vida !! ?? Etwas Spaß in der Bude , das tut gut. Gestern habe ich übernachtet in Casa Banderas. Peregrinos aus den Staaten, Spanien und wir zwei. Ich möchte so langsam aus meinem Caminobubble: Morgens 6.15 aufstehen, Füße eincremen mit Vaseline, Socken überziehen, Voltaren aufs Schienbein. Smartwool-Shirts an, Rucksack packen. Welche Schuhe? Je nachdem wie die Geländeverhältnisse sind, doch lieber die feste Altra’s, statt die chique Tevas. Schnelles Frühstück oder gar keins oder erst nach zehn Kilometer. 


Das Appartment ist sehr schön, herrlich keine kalte Duschen oder Bettlaken und Kopfkissenbezüge aus Papier. Ich habe Glück gehabt, bis heute keine Bettbugs und… kein COVID. Als ich aus Bocholt abgereist bin, war meine Gedanke schon: Wenn, dann bekomme ich es am Camino. Aber nein, jetzt nur step by step nach Santiago, gesund und so glücklich!

Etappe 35 – Von Melide über Arzua nach Lavacolla

7.15 Uhr. Wir verlassen Melide und müssen leider heute unsere Route ändern. Es gibt keine Schlafplätze in O’Pedrouzo,. Ich finde irgendwo kurz vor Santiago noch ein Doppelzimmer. Das bedeutet 15 Kilometer laufen bis Arzua, dann den Bus bis O’Pedrouzo und dann noch 8,5 Kilometer bis ans Schlafzimmer.

Ich habe mich acht Monate auf diesem Tag gefreut und viel gelesen über die Eukalyptus-Wälder in Galizien. Das es so schön ist, ist mit Worten nicht zu beschreiben. Ich laufe den ganzen Tag und gucke fast nur nach oben, die Bäume sind teilweise 30 bis 40 Meter hoch, Blätter so groß wie meine Hand, ich kann nicht genug davon bekommen – und dieser Duft! Sobald die Sonne da ist, duftet es nach warmen Eukalyptus, ich bin so glücklich dieses erleben zu dürfen. 

Es ist heute warm , circa 28 Grad und ich muss den Hut aufsetzen. In Gedanken bin ich bei morgen. Dann ist es geschafft, ich kann es gar nicht glauben. Ich versuche die letzte sechs Wochen Revue passieren zu lassen, kann mich noch gut erinnern an Namen, Dörfer, Kirchen, Herbergen und vor allem an die Menschen und die einzelne Erlebnisse. Das Wetter war am Anfang der Reise, so kalt, und jetzt ist es schon fast tropisch. Dankbarkeit.

Etappe 36 – Santiago des Compostella

Es sind heute die letzten Schritte. Ich habe unruhig geschlafen. 6.15 Uhr: Der Wecker klingelt, ich will früh los und vor 12 Uhr in Santiago sein. Es sind nur ca 11 Kilometer. Aber mit Steigungen braucht man doch etwas länger.

rgendwie dringt es nicht durch bei mir, dass heute mein letzter Tag ist und ich in Santiago ankommen werde. Eigentlich würde ich lieber nach Hause gehen, warum so ein leeres Gefühl? Ich kann es nicht erklären. 

Der Weg zur Kathedrale ist endlos, wie es in Großstädten meistens der Fall ist, als gäbe es kein Ende. Langsam nähern wir uns dem alten Zentrum, und Beatriz ist schon ganz aufgeregt. Wir sind beide müde, auch unsere Füße sind nach 843 Kilometern müde. Aber ich will jetzt dorthin, über Umwege, keiner weiß warum, kommen wir hinten durch das Steintor. Und dann steht sie da, diese herrliche Kathedrale in all ihrer Pracht und Schönheit. Etwas verloren komme ich mich vor, es wimmelt hier von Pilgern. 

Wir bringen unsere Rucksäcke schnell zu den Correos (Post) und laufen zum Eingang des heiligen Hauses. Wir sitzen um 11 Uhr in der Kirchenbank, die Kathedrale ist pickepacke voll.. Die Messe wird in spanisch gehalten und zu meinem Entsetzen nicke ich zwischendurch ein und falle fast aus der Kirchenbank. Der Amerikaner der neben mir sitzt guckt mich verständnisvoll an. Dann ist der große Moment da, der Botufameiro beginnt und da kommen mir die Tränen, ich bin jetzt angekommen.

Nach der Messe kommt bei mir die Entladung, ich habe es geschafft! Ich bin in Santiago… da ich heute morgen noch nichts gegessen hatte sage ich zu Beatriz: So und jetzt müssen wir anstoßen!, Sie lacht und sagt laut: „Jaaa!“

Wir genießen und erzählen uns, was wir geschafft haben, lassen die Etappen Revue passieren und drücken uns wieder. Diese kleine Beatriz, ab Belorado ist sie mit mir 502 Kilometer gelaufen, mal still alleine für sich, mal aufgeregt und verloren kam sie sich vor. Wir haben uns unglaublich gut verstanden, wahrscheinlich weil sie so einen zurückhaltenden sehr bescheidenen Menschen ist. Wir haben uns gegenseitig unterstützt und aufgefangen, alles geteilt, gelacht und geweint. Jetzt will sie so schnell wie möglich nach Hause, ich muss ihr noch helfen das Flugticket umzuändern. ihr Freunde sind gestern in Santiago angekommen, Vier Wochen ist sie ohne den gereist. Heute treffen sie sich an der Kathedrale, das wird nicht ganz einfach sein, aber sie ist auch eine tapfere Frau und sie ist aus ihrem LalaLand aufgewacht, liebe liebe Beatriz, . “ Sisters forever” hat sie uns genannt. Ich werde sie so vermissen, sie ist ein Engel.

ENDE

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